Insel meiner Sehnsucht Roman
Unwetter. »Ich weiß es nicht.« Nur eins weiß ich – dass ich meine Pflicht erfüllen werde.
»Gut. Es würde Wochen, sogar Monate dauern, all die Höhlen auf Deimatos abzusuchen. Womöglich würden wir nichts finden. Wenn Deilos noch lebt, könnte er sich auch auf Tarbos oder Phobos verstecken. Auch dort gibt es unzählige Höhlen.«
»Vielleicht hat er Akora längst verlassen, falls er noch am Leben ist.« Doch sie wusste es besser. Zumindest glaubte sie das.
In diesem Moment verschwand die Sonne hinter einer Wolke, und Kassandra fröstelte.
Am späteren Nachmittag zeichnete sich die flache Insel Leios am Horizont ab und glitt rasch heran. Beim Anblick der grüngelben, von einer sanften Brise bewegten Getreidefelder fühlte sich Royce nach Hawkforte zurückversetzt. Im Westen ragte eine Landzunge ins Meer, von goldenen Stränden umgeben. Und daneben – in einer geschützten Bucht – lag der Hafen. Viel kleiner als in Ilius, nur mit einem halben Dutzend Piers ausgestattet. Dahinter erhob sich ein Lagerhaus. Royce entdeckte noch andere Gebäude. Aber wegen des flachen Geländes ließ sich die Größe der Stadt nicht abschätzen.
Umso leichter fiel es ihm, die Zahl der Menschen zu berechnen, die sich am Kai versammelt hatten. Sicher einige Tausend. Immer mehr Leute eilten herbei. Als das Schiff heransegelte, jubelten sie ihm zu.
Wenig später ging Kassandra an Land. Der Ältestenrat der Insel hieß sie willkommen, begleitet von den Zwillingsbrüdern, die im Speerwerfen den ersten und den zweiten Platz belegt hatten. Bei der Explosion war einer der beiden leicht verletzt worden. Inzwischen hatte er sich erholt. Kameradschaftlich begrüßten sie Royce, dann verneigten sie sich respektvoll vor der Atreides.
»Tag und Nacht beten wir für den Vanax«, beteuerte einer der alten Männer. »Ohne Unterlass flehen wir die Schöpfung an, sie möge uns Atreus erhalten.«
»Vielen Dank«, sagte Kassandra leise, musterte die Männer und Frauen ringsum, alte und junge, stolze und würdevolle Menschen, die auf tröstliche Worte der Prinzessin warteten – voller Hoffnung, sie würde ihre Sorgen lindern.
Obwohl sie diesen Wunsch verstand, konnte sie nicht lügen.
»Mein königlicher Bruder braucht eure Gebete. Ebenso wie ich selbst. Plötzlich sehen wir uns einer Situation ausgeliefert, in der uns weder die Geschichte noch die Traditionen helfen. Und so müssen wir einander beistehen, nach bestem Wissen und Gewissen.«
Beeindruckt von der Weisheit und Ehrlichkeit, die Kassandras kurze Ansprache bekundete, nickte er. Royce erkannte, dass sie dem Wunschbild dieser Menschen voll und ganz entsprach. Zumindest schienen sie darauf zu hoffen. Und die Atreides würde sie nicht enttäuschen, denn es lag in ihrer Natur, alles zu tun, was ihr die Pflicht abverlangte.
Auf den Feldern, wo Royce den reifen Weizen mit den Augen des Gutsherrn betrachtete, sprach Kassandra die Gebete und legte Opfergaben nieder, wie schon so oft. Aber ihr feierlicher Ernst ließ nicht nach. In gewisser Weise wirkte jede Zeremonie, die sie vornahm, wie ihre erste.
Danach genossen sie eine einfache Mahlzeit auf einer Wiese, nicht weit vom Hafen entfernt. Junge Männer bauten Zelte auf. Darin würden die Besucher aus Ilius die Nacht verbringen. Eines der Zelte enthielt sogar ein Bad und eine Toilette.
Wie Royce erfahren hatte, wurde Leios von ebenso vielen Menschen bewohnt wie Kallimos. Aber hier war, im Gegensatz zu der gebirgigen Insel, das ganze Land besiedelt. Von weit her waren die Menschen in die Stadt gekommen, um die Tochter der Familie zu begrüßen, die Akora seit Jahrhunderten regierte.
Kassandras Zelt lag abseits. Aber es glich den anderen, und Royce nahm an, man hätte auch dem Vanax keinen besonderen Komfort geboten. Auf Akora wurden gesellschaftliche Unterschiede kaum beachtet. In diesem Inselreich würde sich Prinny, an ein pompöses Hofzeremoniell gewöhnt, ziemlich unwohl fühlen. Da Royce solche Eitelkeiten verabscheute, freute er sich über die akoranische Lebensart.
Trotzdem beklagte er den Mangel vernünftiger Vorsichtsmaßnahmen, wie sie in England üblich waren: Ohne seine Leibwächter tat der Prinzregent keinen einzigen Schritt. Kassandra lehnte eine bewaffnete Eskorte ab.
Eine Zeit lang hatte Royce sich eingeredet, das sei nicht so wichtig, denn sie wurde stets von loyalen Akoranern umgeben, die ihr nichts zuleide tun würden. Aber nun brach die Nacht herein. Und das Zelt der Prinzessin befand sich weit genug entfernt, so
Weitere Kostenlose Bücher