Insel meiner Traeume
Joannas Furcht erregten, sie würde sich unsterblich blamieren, wenn sie die Tafel nicht in absehbarer Zeit verlassen durfte.
Endlich war das Dinner überstanden, und die Leute begannen umherzuschlendern. Obwohl Joanna nur wenige Speisen probiert hatte, konnte sie sich kaum auf den Beinen halten. Zudem war es stickig heiß im Pavillon, und das anfänglich vage Unbehagen in ihrem Magen steigerte sich zur Übelkeit.
»Wenn du mich entschuldigen würdest...«, flüsterte sie Alex zu, »jetzt muss ich mich ein bisschen frisch machen.«
Die Damentoilette lag im Hintergrund des Pavillons. Um sie zu erreichen, musste Joanna mehrere große, mit Chinoiserien voll gestopfte Räume durchqueren. Dabei konnte sie Royces Abneigung gegen geschlossene Räume teilweise nachempfinden. Trotzdem fand sie die Luft halbwegs frisch, nachdem sie sich von der Menschenmenge entfernt hatte, und dank der Bewegung fühlte sie sich etwas besser.
Zu ihrer Erleichterung traf sie niemanden in der Toilette an - außer der Dienerin, die auf einem Stuhl döste, den Kopf gesenkt, in Träumen verloren. Das war Joanna nur recht.
Lautlos schlich sie an dem Mädchen vorbei und stillte ihre Bedürfnisse. Danach sank sie in die Polsterung einer Brokatchaiselongue vor einem goldgerahmten Spiegel. Auf einem Tischchen fand sie verschiedene Parfüms in Kristallflaschen, silberne Kämme und Haarbürsten, goldene Haarnadeln, emaillierte Puderdosen und alles, was eine Dame sonst noch brauchte, um ihre äußere Erscheinung zu »reparieren«. Allzu viel Zeit durfte sie sich nicht nehmen. Bald würden andere weibliche Gäste hier Zuflucht suchen. Aber für den Augenblick genoss sie die beruhigende Einsamkeit.
Ihre Kopfhaut prickelte und erinnerte sie daran, wie lange ihr Haar schon auf dem Oberkopf festgehalten wurde. Diese schlichte Frisur hatte sie selbst erfunden. Von einem Seidenband umwunden, fielen die Locken über ihre Schultern. Ungeduldig löste sie das Band und warf es in ihren Schoß. Sie schüttelte ihr Haar, seufzte erleichtert und griff nach einem der Kämme. Plötzlich hörte sie ein Geräusch und hielt inne. Ein Bodenbrett knarrte, ein Rock raschelte...
»Mylady...«
Verblüfft drehte sie sich um. Eine andere Dienerin stand vor ihr, eine junge Frau, bleich und sichtlich erschöpft vom langen Tag, dem eine ebenso lange Nacht voller Aufräumarbeiten folgen würde. Schüchtern knickste sie. »Sind Sie Lady Joanna Hawkforte?«
»Ja...«
»Verzeihen Sie die Störung, Mylady, aber da ist ein Gentleman...« Hastig senkte sie die Stimme, »... draußen im Garten. Er hat mich hierher geschickt und lässt fragen, ob Sie zu ihm kommen würden.«
Belustigt unterdrückte Joanna ein Lächeln. Es sah Alex ähnlich - die Geduld zu verlieren, während sie in der Damentoilette trödelte. »Im Garten, sagen Sie?«
»Ja, Mylady, weiter unten am Korridor finden Sie eine Tür.«
»Danke.« Joanna erhob sich und vergaß das Band, das zu Boden glitt. Jetzt war der letzte Rest ihres Unbehagens verflogen, sie konnte es kaum erwarten, Alex wiederzusehen. Aber wann sehnte sie sich nicht nach ihm? Wenn die Probleme gelöst waren, die Akora und England betrafen, würden sie in aller Ruhe über ihre Beziehung reden müssen. Daran dachte sie nur selten. Doch jetzt ließ sich der Gedanke nicht verdrängen, während sie den Korridor entlang und durch eine schmale Tür in den Garten eilte.
Nach der stickigen Hitze im Pavillon wirkte die frische Luft wie Balsam. Belebend mischte sich der salzige Geruch der Meeresbrise mit dem Duft von Jasmin. Joanna schaute sich um, entdeckte niemanden und ging in die Schatten der hohen Hecken und der griechisch-römischen Statuen auf ihren wuchtigen Podesten.
»Wo bist du, Alex?«
Als sie ein Räuspern hörte, drehte sie sich um - und sah nicht den Mann, den sie erwartete, sondern einen Fremden.
Nein, kein Fremder... Irgendetwas an ihm kam ihr bekannt vor. Was es sein mochte, wusste sie nicht. »Sir...«, begann sie und wollte fragen, ob er das Dienstmädchen zu ihr geschickt habe.
Bevor sie weitersprechen konnte, trat er ins Mondlicht. Joanna starrte den Mann an, der etwa in ihrem Alter und kaum größer war. Unstet irrten seine Augen über der langen, dünnen Nase umher. Sein gertenschlanker Körper steckte in einem eleganten Gehrock und Breeches. Bei der letzten Begegnung war er anders gekleidet gewesen.
»Deilos!«
»Unfassbar, wie vertraulich die Engländerinnen mit den Männern umgehen«, bemerkte er und lächelte eisig. »Ich
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