Insel meiner Traeume
kühle Innere des Palasts. Durch mehrere Fenster strömte Sonnenschein herein und beleuchtete einen eleganten, gemütlichen Raum. Alabasterbänke säumten die Wände, bedeckt mit bunt bestickten Kissen in verschiedenen Formen und Größen, auf niedrigen Tischen standen Schüsseln voller Früchte oder Blumen. Neben der Tür rieselte Wasser aus einem steinernen Delfinkopf in ein seichtes Becken und verschwand in einem verborgenen Abfluss.
Sida zeigte auf das Becken. »Lady, es ist Sitte, die Füße zu baden, wenn man eine Behausung betritt.«
In diesem warmen Klima, das die Luft mit unvermeidlichem Staub durchsetzte, war das eine ausgezeichnete Idee. Welch großen Wert die Akoraner auf Sauberkeit legten, hatte Joanna bereits festgestellt. Da sie ihre Stiefel und die restliche Kleidung seit dem Beginn der Reise nicht mehr besaß, war sie barfuß. Sie raffte den Saum ihrer Robe ein wenig hoch und stieg in das kühle Wasser. Als sie das Becken verließ, ergriff Sida ein Tuch, um ihr die Füße zu trocknen.
»Danke.« Joanna nahm ihr das Tuch aus den Händen und wischte ihre Füße selber ab. Dabei stellte sie sich vor, was Mrs. Mulridge sagen würde, hätte sie jemandem erlaubt, ihr diesen Dienst zu erweisen. Bei der Erinnerung an ihre strenge, aber gütige Freundin wurde sie von plötzlichem, völlig unerwartetem Heimweh erfasst. Über all den aufregenden Eindrücken ihrer Schiffsreise hatte sie kaum an die Menschen gedacht, die in London zurückgeblieben waren, und nur gehofft, ihr Brief mit der Erklärung ihrer Absichten würde ihnen ein wenig Trost spenden. Natürlich würden sich Mrs. Mulridge, Bolkum und die anderen trotzdem sorgen. Doch das hatte Joanna nicht verhindern können.
Jetzt, wo sie wirklich und wahrhaftig auf akoranischem Boden stand, wurde ihr erst richtig bewusst, was sie getan hatte. So viele Meilen war sie von ihrem Zuhause entfernt, von den Menschen, die sie kannte und liebte. Alex hatte zwar versprochen, ihr bei der Suche nach ihrem Bruder zu helfen - aber was würde geschehen, wenn sie Royce fanden?
Zu ihrem Leidwesen hatte Alex nicht erwähnt, man würde ihr erlauben, das befestigte Königreich mit ihrem Bruder zu verlassen. Schlimmer noch - obwohl sie zu wissen glaubte, er würde irgendwo auf Rettung warten, bangte sie um sein Leben. Immerhin bestand die Möglichkeit, dass er gestorben war. Dann müsste sie die schmerzliche Trauer um ihren einzigen Verwandten inmitten fremder Menschen verkraften.
Was sie fürchtete, schien ihre Miene zu verraten, denn Sida entzog ihr das Tuch und bemerkte sanft: »Lady, Sie haben eine lange Reise hinter sich. Nun sollten Sie sich ausruhen und erholen.«
Joannas Kehle war wie zugeschnürt. Weil sie kein Wort hervorbrachte, nickte sie nur.
Schweren Herzens folgte sie der Akoranerin eine Treppe hinauf, zum obersten Stockwerk. Die Fenster boten einen großartigen Ausblick auf die Stadt, den Hafen und das Binnenmeer. An diesem klaren Tag konnte Joanna die fernen, schattenhaften Umrisse der drei kleinen Inseln sehen, die so schreckliche Namen trugen.
Sida führte sie an mehreren großen, offiziellen Salons vorbei zu einer Suite, die aus einem Schlafgemach, einem luxuriösen Bad und einem Raum bestand, der Alex anscheinend als Arbeitszimmer diente. Nachdem die Haushälterin davongeeilt war, um eine Erfrischung zu holen, erwachte
Joannas angeborene Neugier. Daran klammerte sie sich wie an einen Schutzschild, der sie gegen den tiefen Kummer abschirmen sollte, und sie begann, ihre Umgebung zu erkunden.
In den Regalen an den Wänden des Arbeitsraums sah sie viele verlockende Bücher und Handschriften. Aber sie gab der Versuchung nicht nach und blieb auf der Schwelle stehen, denn es wäre unhöflich gewesen, ohne Einladung hineinzugehen. In der restlichen Suite schaute sie sich etwas gründlicher um. Offenbar gab es nur ein einziges Schlafzimmer.
Von dieser beklemmenden Erkenntnis wurde sie abgelenkt, als Sida zurückkehrte und ein Tablett auf einen Tisch vor den Fenstern stellte. »Bitte, Lady...« Die Haushälterin wies auf einen Stuhl. »Setzen Sie sich. Ich habe Ihnen köstliche Marinos gebracht und einen erlesenen Wein aus Prinz Alexandros’ Privatkeller.«
Außerdem servierte sie kleine, runde, frisch gebackene Brote, eine Schüssel mit Kirschen und ein großes Stück goldgelben Käse. Von Gewissensbissen geplagt, nahm Joanna am Tisch Platz. Eigentlich sollte sie sich um Alex’ Unterredung mit dem Vanax sorgen, statt auch nur ans Essen zu
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