Insel meiner Traeume
erschien ihr gut und richtig. Alex hatte behauptet, mit der Hilfe des Edelsteins würde Kassandra ihre Visionen herbeiführen. Aber auf welche Weise? Die Prinzessin besaß ein viel größeres Talent als sie selbst - ein e furchterregende Gabe, das zweite Gesicht.
Trotzdem hatte Joanna den Sohn des Müllers gefunden und dem Tod entrissen.
Vergiss jenes andere Mal, wo du dich durch den Zorn eines Gewitters getastet hast, auf der verzweifelten Suche nach deinen Eltern...
Denk nicht daran...
Und doch - wäre sie ehrlich, würde sie sich eingestehen, was sie empfunden hatte. Eine ganz leichte Berührung, so sanft und zärtlich, voller Bedauern und doch irgendwie glücklich. In den seltenen Momenten, wo sie sich die Erinnerung gestattete, war sie getröstet.
Lieber Gott, bitte, lass mich nichts dergleichen fühlen, wenn ich Royce suche...
Sicher war der Rubin kalt. Wenn sie ihn berührte, würde sie kein Feuer spüren. Trotzdem würden Flammen darin lodern, daran zweifelte sie nicht. Zögernd beugte sie sich ein wenig vor und starrte ins Zentrum des Juwels.
Ein paar Schritte entfernt stand Alex zwischen Stalakmiten und beobachtete Joanna. Glücklicherweise hatte sie ihn nicht gebeten, er möge sie allein lassen. Dazu wäre er nicht bereit gewesen.
Aber er würde sie nicht bedrängen. Zudem brauchte er selber einen gewissen Abstand, um zu festigen, was er seine
- allmählich lachhafte - Selbstbeherrschung nannte.
Beinahe entlockte ihm der Ausdruck, den ihr Gesicht zeigte, ein Stöhnen. Nichts wünschte er sich sehnlicher, als sie in seine Arme zu reißen und zu verscheuchen, was sie bedrücken oder entsetzen mochte.
Oh ja, das war alles, was er wollte. Der Gedanke an ihren warmen, einladenden Mund bedeutete nichts, ebenso wenig die Versuchung, mit ihr auf die weiche Erde zu sinken und sich zu nehmen, wonach er so heftig verlangte.
Die Hände geballt, bezwang er den Impuls, nach ihr zu greifen, und wandte sich ab. Sein Blick schweifte durch die Höhle. Langsam begann er umherzuwandern. Als er ein kleiner Junge gewesen war, hatte ihn seine Mutter hierher geführt, in die Arme genommen und mit leiser Stimme von ihrem Volk erzählt. In ferner Vergangenheit hatte es die Höhle entdeckt. Ihre Geschichten ließen immer noch deutliche Bilder entstehen - von Männern und Frauen, die sich inmitten der Tropfsteine versammelten, um den Segen der Mutter Erde zu feiern oder dicht gedrängt ihrem Zorn zu entfliehen und sich ans Leben zu klammern, während die vertraute, geliebte Welt entzweigerissen wurde. Das alles sah er nun mit den Augen seiner Mutter, fühlte es und erkannte in diesem Moment, was die Ankunft seiner kriegerischen Ahnen wirklich für Akora bedeutet hatte. Vor allem für die Priesterinnen - erschüttert vom scheinbaren Fehlschlag ihres Glaubens, plötzlich entmachtet, den Eroberern unterworfen... Damals war das Gesetz beschlossen worden - die Krieger herrschten, die Frauen dienten. Doch im Lauf der Jahrhunderte hatte die stille Kraft der Frauen einen Wandel bewirkt. Weitere Veränderungen standen bevor - zu wenige für die einen, zu viele für die anderen. Wie auch immer, sie waren unaufhaltsam. Ihr Erfolg würde vom Vertrauen zwischen Männern und Frauen abhängen, vom wechselseitigen Respekt und der Bereitschaft, zum Wohl des Landes, das beide Geschlechter liebten, an einem Strang zu ziehen.
So wie er vielleicht mit Joanna Zusammenarbeiten würde, jetzt und später... Kaum war ihm der Gedanke in den Sinn gekommen, verwarf er ihn. Nur um ihre Fähigkeiten zu nutzen, wappnete er sich gegen ihre Anziehungskraft. Noch mehr durfte nicht geschehen.
So ätherisch, fast zerbrechlich sah sie aus, während sie den Rubin betrachtete. Zu seiner eigenen Verblüffung hatte er den Felsblock umrundet. Und jetzt starrte er sie wieder an. Er versuchte wegzuschauen. Doch er konnte sich nicht dazu durchringen. Mittlerweile war die Kapuze von ihrem Kopf geglitten und enthüllte ihre glänzenden Haare. Sie erschien ihm stark, entschlossen, frei, die verkörperte Weiblichkeit. Glich sie den Priesterinnen alter Zeiten - oder den Lebenden, wenn sie sich versammelten, um die Riten der Frauen zu zelebrieren?
Das würde Kassandra wissen. Er könnte sie danach fragen. Und er hätte sie auch bitten sollen, Joanna in die Höhle zu begleiten, statt sie selber hierher zu führen. Dazu hatte er sich entschlossen, weil er... Ja, das war’s - weil er die Verantwortung für sie trug. Er hatte sie nach Akora gebracht. Deshalb musste er sich
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