Insel meines Herzens
geschwächt. Trotzdem verlieh sie ihrer Stimme einen entschiedenen Klang.
»Still!«, befahl Deilos. »Nimm sie mit, Polonus. Und sieh zu, dass sie unseren Fußmarsch nicht verzögert.«
Ihr Bruder hob sie hoch und schlang einen Arm um ihre Taille. Jetzt nahm sie ihre Umgebung wahr – eine unterirdische Höhle. »Kannst du gehen?«, flüsterte Polonus, nachdem Deilos den Felsenraum verlassen hatte.
»Wohl oder übel...«
»Hättest du dich bloß nicht eingemischt!«, seufzte Polonus. »Warum warst du überhaupt im Gefängnis?«
»Weil ich dich gesucht habe.«
»Mich?« Entgeistert runzelte er die Stirn. »Warum?«
»Ich sah dich über den Hof gehen und hatte Angst, du würdest irgendwas im Schilde führen.« Bitter lachte sie auf. »Dass es so schrecklich war, konnte ich mir nicht vorstellen.«
»Das verstehst du nicht. Von dir erwarte ich das auch gar nicht. Jedenfalls ist Deilos unsere einzige Hoffnung, und deshalb durften wir nicht untätig mit ansehen, wie der Vanax ihn zum Tod verurteilen würde.«
»Oh, natürlich!«, spottete sie. »Einen verrückten Mörder muss man am Leben erhalten – um jeden Preis. Und die anderen...« Nein, sie ertrug es nicht, an Elena, ihre Assistenten und die drei Krieger zu denken. Oder an die verdammte Seele ihres Bruders...
Während sie die Höhlen durchquerten, überlegte sie, ob sie in die Nähe des Tempels geraten würden. Aber im schwachen Fackellicht und wegen der qualvollen Kopfschmerzen versagte ihr Orientierungssinn. Nur eins stand fest – sie gingen bergab.
Und es wurde immer wärmer.
In den Höhlen war es kühl. An heißen Sommertagen hatte sie zusammen mit Polonus manchmal Linderung in den Höhlen auf Leios gesucht, die unter dem Elternhaus lagen. Da war es immer kühl – und in den Höhlen unterhalb des Palastes noch kälter.
Aber hier nicht... Die Wärme steigerte sich zur Hitze, und Brianna konnte kaum noch atmen. In der Luft lag ein beißender Geruch, so wie ihn der Schwefel verströmte, den Elena benutzt hatte, um ihren Operationsraum zu säubern.
»Was geschieht hier, Polonus? Warum ist es so heiß?«
»Das habe ich dir gesagt. Doch du wolltest mir nicht glauben.«
»Ich verstehe nicht...« Nie zuvor hatte sie eine so übermächtige Hitze gespürt, die aus der Erde kroch und sich dampfend durch die Felsenspalten unter ihren Füßen wand.
Weiter vorn erschien ein seltsames rotes Licht, das immer feuriger brannte, während sie darauf zugingen. Und dann hörte sie ein Zischen – zuerst ganz leise, dann immer lauter, so als würden sie die Behausung eines wilden Ungeheuers betreten, vielleicht eines Drachen. Denn was sonst konnte an so einem Ort leben?
»Akora ist wütend«, verkündete ihr Bruder erneut und zog sie zum Ende des Höhlengangs, zu einem Felsvorsprung oberhalb einer riesigen Senke.
Angstvoll schaute Brianna hinab – und starrte in einen Höllenschlund.
Kapitel 18
D ie Krieger wurden aufgeteilt. Unter Alex’ Kommando sollte eine Einheit die Insel Deimatos bewachen, falls Deilos wider Erwarten dorthin segelte. Mit einer weiteren Einheit würde Royce die nördlichen und die südlichen Seewege abschneiden, die aus dem Binnenmeer zum Atlantik führten.
Für Deilos gab es kein Entrinnen – vorausgesetzt, er wollte fliehen.
»Wie gern würde ich helfen...« Joanna stand im Hof. Soeben hatte sie sich von ihrem Ehemann verabschiedet. Amelia lag in ihren Armen. »Wenn ich Brianna bloß fände...«
»Das verlange ich nicht von dir«, erwiderte Atreus sanft. Er wusste, dass seine Schwägerin ein eigenwilliges Talent besaß, was für all diese besonderen Fähigkeiten der Atreiden- und Hawkforte-Frauen galt. Um Royce aufzuspüren, während er von Deilos gefangen gehalten worden war, hatte sie ihre ganze Kraft und Geschicklichkeit gebraucht. Seither könne sie nicht einmal eine Haarnadel finden, klagte sie.
»Eigentlich nahm ich an, ich würde mir nie mehr wünschen, in die Zukunft zu schauen«, seufzte Kassandra an ihrer Seite. »Aber wenn mir jetzt ein ganz kurzer Blick vergönnt wäre...«
»Es würde keinen Unterschied machen«, versicherte Atreus. »Wie du sagtest, gibt es mehrere Wege in die Zukunft, und wir alle wählen unser Schicksal selbst.«
So wie auch er seine Entscheidung treffen musste – hier zu bleiben und auszuharren, bis er einen Hinweis auf Deilos’ Ziel erhalten würde, oder den Feind zu jagen.
Wenn er den falschen Entschluss fasste, würden sie alle kostbare Zeit verlieren und vielleicht jede Hoffnung auf einen
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