Insel meines Herzens
wurden? Das spielte keine Rolle. Nur eins zählte. Atreus musste ihn – und Brianna – finden, bevor es zu spät war.
Hinter sich hörte er seine Männer nach Luft schnappen. Um ihre Überraschung auf andere Weise zu bekunden, waren sie viel zu gut ausgebildet und diszipliniert.
Was in ihnen vorging, konnte er nachempfinden. Aber seine Worte klangen unerbittlich. »Über diesen Gang werdet ihr mit niemandem sprechen.«
Flüsternd stimmten sie zu, und er wusste, dass sie ihr Wort halten würden. Was sie sahen, würden sie in ihrem Innern vergraben und keiner Menschenseele erzählen. Fraglos und unerschrocken akzeptierten sie ihre Pflicht, den Vanax zu schützen, alle seine Wünsche zu respektieren.
Am Ende der Passage erreichten sie den Rand einer gigantischen Senke. Atreus spürte die Hitze, die ihm entgegendrang. Tief unten erblickte er den wogenden feurigen See.
»Hier hinab«, sagte er und folgte dem schmalen Weg, der in die Höllenlandschaft führte.
Brianna strauchelte. Beinahe stürzte sie. Ihr Bein stieß gegen einen der scharfkantigen Felsbrocken, die den Pfad säumten. Als sie nach unten schaute, sah sie Blut durch ihre weiße Tunika sickern. In ihrem Entsetzen halb betäubt, immer noch leicht benommen von dem Schlag gegen ihren Kopf, fühlte sie keinen zusätzlichen Schmerz. Genauso gut könnte dies alles in einem Albtraum geschehen.
Inständig hoffte ein Teil ihres Ichs, jeden Moment zu erwachen. Doch sie wusste es besser.
Obwohl dieser gespenstische Ort allem widersprach, was sie jemals von der Welt erfahren hatte, erkannte sie ihn auf irgendeine tiefe, verborgene, geheimnisvolle Weise. Hier befand sich die grausige Vision, die hinter der Schönheit des befestigten Königreichs lauerte. Diese Erinnerung teilten alle Akoraner, reichten sie von Generation zu Generation weiter, erzählten in Legenden davon, besangen den glorreich besiegten Schrecken, der längst der Vergangenheit angehörte. Aber das stimmte nicht, denn im Schoß der Erde existierte er nach wie vor.
»Jetzt siehst du, warum Deilos handeln musste«, sagte Polonus an ihrer Seite.
»Nein, das sehe ich nicht«, keuchte sie. Nur mühsam hielt sie sich auf den Beinen. »Was hat er mit diesem Inferno zu tun?«
»Er fand heraus, dass der Vulkan wieder erwacht ist. Zu diesem Ort führt noch ein anderer Weg, den die Atreiden niemals fanden. Nur Deilos entdeckte ihn. Sobald er feststellte, was hier geschieht, sah er seine schlimmste Furcht bestätigt. Atreus und alle Atreiden wollen uns mit der Außenwelt verbinden. Und das ist ein verhängnisvoller Fehler, denn damit erzürnen sie Akora. Um seine Wut zu bezeugen, speit unser Land Feuer.«
»Bist du nicht ein Helios-Mitglied, Polonus? Du hast geglaubt, wir müssten uns öffnen...«
»Niemals dachte ich, wir sollten uns dem Rest der Welt anpassen. Ich strebte unsere Selbstbestimmung an. Nicht der Vanax dürfte über unser Schicksal entscheiden, sondern wir. Wie ich jetzt erkenne, war mein Wunsch falsch. Uns bleibt nichts anderes übrig, als zu den alten Traditionen zurückzukehren, sie getreulich zu ehren und zu beten, Akora möge sich barmherzig zeigen.«
Vor wenigen Tagen hätte Brianna erklärt, was sie beobachtete, sei ein Phänomen der Natur. Mit der Wut irgendeines Wesens könne es nicht zusammenhängen. Aber dann hatte sie jene überwältigende Macht im Tempel gespürt. Akora lebte – in einem gewaltigen, ewigen Sinn. Und deshalb war nichts unmöglich.
»Hat Deilos dir das Feuer gezeigt?«, fragte sie.
Polonus nickte. Mit der Selbstsicherheit eines jungen Fanatikers verkündete er: »Er zog alle Helios-Anhänger ins Vertrauen, die er für fähig hielt, die Krise zu meistern.«
»Mit dieser Krise oder jeder anderen wird Atreus am ehesten fertig. Merkst du es denn nicht? Nur Deilos’ maßlose Eitelkeit, sein Neid auf die Atreiden und sein Wahnsinn verleiten ihn zu der Überzeugung, er wäre der bessere Vanax.«
»Da kann ich dir nicht zustimmen. Was Atreus tut, ist grundfalsch. Damit wird er Akora zerstören und uns alle ins Verderben stürzen.«
Verzweifelt schüttelte Brianna den Kopf. Ihr Bruder klammerte sich beharrlich an Deilos’ Lügen, um seine eigenen verwerflichen Taten zu rechtfertigen. Dagegen war sie offenbar machtlos. Aber sie würde sich, so gut sie es vermochte, auf das drohende Unheil vorbereiten.
Deilos eilte voran, als würden ihn Hitze und Feuer nicht im Mindesten anfechten. Obwohl seine Männer ihr Unbehagen nicht verhehlten, folgten sie ihm.
Wie
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