Insel zweier Welten: Roman (German Edition)
Gedanken und Ideen zu entlocken, um dann, in Monaten und Jahren des Miteinanders, an ihnen zu feilen und zu drechseln? Ja, ein solches Leben würde mir durchaus gefallen. Ich dachte an Calebs Bemerkung am Strand zurück, die er – vor einer Ewigkeit, wie mir schien –, über Prometheus, den Feuerdieb, hatte fallen lassen. Auf genau die gleiche Weise könnte ich mit einem solchen Ehemann Wissen stehlen. Ich dachte an das, was ich sonst zu erwarten hätte: Ich würde Interesse heucheln müssen, wenn mein Gemahl über den Zustand der Weiden oder die Vorteile eines unterschlächtigen Wasserrades sinnierte, würde immer wieder darum kämpfen müssen, ein Buch zu ergattern – ganz gleich, welches. Ich würde die Einsamkeit ertragen, in der ich notgedrungen die darin geäußerten Ideen erkunden müsste, und wäre voller Sehnsucht nach einem Menschen, mit dem ich all das teilen könnte.
»Ich verlange gar keine Umkehrung der Verhältnisse, Mister Corlett. Doch vielleicht ist eben das Bändchen in Euren Händen Zeugnis dafür, dass Frauen manchmal dazu fähig sind, an der Seite von Männern zu stehen, und nicht immer und in jeder Hinsicht hinter ihnen.«
Bei dieser Bemerkung hob der ältere Corlett die Augenbrauen, doch sein Sohn nickte nachdenklich. »Gut gesagt, obwohl doch ein Körper auch immer nur einen Kopf hat, nicht wahr?«
»Richtig. Doch wenn Ihr von Ehe und der Handhabung eines Haushalts sprecht« – hier spürte ich, wie mir wieder eine leichte Röte ins Gesicht stieg –, »dann könnten zwei Köpfe doppelt so viel Klugheit in die Waagschale werfen, wenn es um das Vorhaben geht, eine gottesfürchtige Familie zu gründen.«
Darüber lachte er. »Eure eigene Klugheit scheint mir die Antwort mehr als deutlich zu geben, Mistress Mayfield.«
Da ich in unserem Gespräch wieder auf sicheren Boden gelangen wollte, wechselte ich das Thema erneut und fragte Samuel nach seiner Rolle als Lehrbeauftragter am College. Er erklärte den Studienplan und sprach voller Herzlichkeit über die Studenten, die er als Tutor betreute. »Natürlich hält Master Chauncy alle Seminare ab. Meine Aufgabe besteht darin, mit den Studenten darüber zu sprechen und zu prüfen, was und wie viel sie von dem verstanden haben, was sie gelehrt wurden.« Den Studienanfängern wurde jeweils ein Tutor zugewiesen, der sie dann das gesamte Studium über begleitete. Bei Samuel Corletts Klasse handelte es sich um Studenten im dritten Studienjahr, die sich ab dem Herbst auf den Abschluss vorbereiten würden. Diese Klasse war insofern etwas Besonders, als drei von Präsident Chauncys Söhnen sie besuchten – ein Zwillingspaar und ein älterer Junge, die gemeinsam mit dem Studium begonnen hatten. Außerdem gehörten zu diesem Jahrgang auch John Bellingham, der Sohn des Gouverneurs, ein junger Sprössling der Welds, also der Familie des Schulmeisters von Roxbury, und mehrere Pfarrerssöhne. Doch am warmherzigsten sprach Samuel Corlett über die beiden anderen Studenten, die er unter seinen Fittichen hatte. Der eine, eine junger Mann namens John Parker, war der Sohn eines Metzgers und hatte seine Studiengebühren in Form von Rinderhälften und Speckschwarten bezahlt. »Er mag nicht gerade der geborene ›Sohn des Propheten‹ sein, zu dem die Jungen sich hier gerne stilisieren«, sagte Corlett, »aber seine Fortschritte im Lernen grenzen an ein Wunder.« Der andere war John Whiting, ein verträumter Jüngling, den weltliche Belange oft so unberührt ließen, dass er mit vertauschten Schuhen zur Vorlesung kam.
Mit solch angenehmen Plaudereien verbrachten wir eine Stunde. Als wir uns schließlich verabschiedeten, ging der Vater ein wenig voraus, während der Sohn mir noch in meinen Umhang half.
»Gewiss würdet Ihr gern die Bibliothek des College besichtigen – John Harvards Bücher, müsst Ihr wissen, bilden das Rückgrat der Sammlung, doch hat es seit seiner überaus großzügigen Spende viele interessante weitere Zugänge gegeben. Ich bin mir sicher, Präsident Chauncy hätte nichts dagegen, wenn ich Euch zu gegebener Zeit herumführe.«
Ich erwiderte, dass ich dies über die Maßen gerne tun würde, solange es zu einer Zeit wäre, in der ich meiner Pflichten entbunden sei. Doch kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, bereute ich sie auch schon wieder. Ich wollte Samuel Corlett nicht daran erinnern, dass ich eine niedere und zwangsverpflichtete Dienstbotin war. Er schien mein Unbehagen zu spüren, denn als er mir meine Handschuhe reichte, nahm er
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