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Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Titel: Insel zweier Welten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geraldine Brooks
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ich zusammen mit Master Corlett zum Versammlungshaus und begab mich auch danach gemeinsam mit ihm auf den Weg, denn was konnte natürlicher sein, als dass ich den Master zu seinem nachmittäglichen Besuch bei seinem Sohn begleitete? Das Wetter war unbeständig, aber nach Aussage der Leute in Cambridge typisch für den Frühling: zuerst ein plötzlicher Anstieg der Temperatur, der die Sinne kitzelte, dann ganz plötzlich wieder Schnee. Auch wenn ein warmer Tag nach einem langen Winter wie Balsam wirkte, kam in der Stadt jedes Mal, wenn es taute, ein neuer hässlicher Abfallhaufen zum Vorschein und ließ üble Gerüche in die Luft steigen, die mit den zarten Düften der ersten Knospen in Widerstreit traten.
    Samuel Corlett war in mehrere leerstehende Räume am Indian College gezogen, das bislang noch keine indianischen Schüler beherbergte. Gegenwärtig lebten hier fünf oder sechs englische Gelehrte sowie ein junger Nipmuc namens John Printer, der sich um die College-Zeitung kümmerte. Diese Zeitung – die einzige in der gesamten Kolonie – war früher im Hause des Präsidenten hergestellt worden, doch Master Chauncy hatte einen großen Haushalt und war nur allzu froh gewesen, als die Presse in das Indian College umzog.
    Ich war neugierig zu sehen, wo Caleb und Joel bald untergebracht würden, sollten sie denn die Aufnahmeprüfung bestehen. Es handelte sich um ein solides Gebäude – dem man jedes der vierhundert Pfund ansah, die es laut dem jungen Dudley gekostet hatte –, obwohl die Backsteinmauern die Kälte eher speicherten und ein Teil noch unvollendet war. Als wir an den Privatgemächern und Studienräumen vorbeikamen, sah ich, dass einige der Innenwände noch unverputzt und mehrere Fenster nur mit Wachspapier bezogen und unverglast waren.
    Wir stiegen die große Haupttreppe empor, und Samuel Corlett führte uns in sein eigenes Studierzimmer, einen großen Raum, dessen eines Fenster mit Rautenglas versehen war und auf das nördliche Ende des baufälligen College hinausging, in dem er bis vor kurzem noch gewohnt hatte. »Dort drüben hätte ich Euch mit keinerlei Komfort empfangen können« sagte er. »Aber natürlich darf ich mich gar nicht zu sehr an das Wohnen hier gewöhnen.« Sein Vater lächelte. »Das solltest du wirklich nicht. Du wirst schon bald von meinen beiden zukünftigen Propheten, Caleb und Joel, verdrängt werden. Wenn sie die Aufnahmeprüfung abgelegt haben, wirst du diese Räume dem Tutor überlassen müssen, den Chauncy für sie bestimmt.«
    »Und werde mich wieder in einen der engen Schuhschränke zwängen müssen, die am alten College als Zimmer durchgehen«, erwiderte sein Sohn. »Doch ich heiße die Einschränkung willkommen, wenn sie dem guten Zweck dient, für den dieses Gebäude schließlich errichtet wurde.«
    Im Kamin des Studierzimmers brannte ein ordentliches Feuer, und ich war froh, meinen Umhang und die Handschuhe ablegen zu können. An den Wänden standen zwei hohe und wohlgefüllte Bücherregale, mehrere große Bände stapelten sich in kleinen Türmen auf dem Boden. Auch eine Wunderkammer gab es, die sogleich meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Darin befanden sich die Skelette von mehreren kleinen Lebewesen sowie verschiedene Weckgläser mit präparierten Organen. Samuel Corlett sah, dass ich die Dinge mit Interesse beäugte. »Ich hoffe, Euch ekelt nicht davor?«
    »Überhaupt nicht«, sagte ich. »Ich interessiere mich sehr für Naturwissenschaften, obwohl ich nie Gelegenheit hatte, mich ernsthaft damit zu befassen. Verzeiht, wenn ich so direkt danach frage, aber wie ich verstanden habe, habt Ihr einen Abschluss in Theologie, nicht in Physiologie.«
    Er lächelte. »Das habt Ihr richtig verstanden. Aber ich lasse mich gelegentlich gerne ein wenig ablenken. Das Lesen ist das Futter unseres Verstandes, doch manchmal möchte man beim Lernen zusammen mit dem Verstand auch die Hände rühren. Ein botanischer Garten, eine kleine mechanische Werkstatt, ein anatomisches Laboratorium, so wie es die Universitäten in Europa oft haben – vielleicht wird sich ja auch Harvard eines Tages solcher Dinge rühmen können. Wenn ich die Möglichkeit hätte, würde ich sowohl Theologie als auch Physiologie studieren.«
    »Wie die pawaaws …« Die Worte rutschten mir heraus, ehe ich mich’s versah.
    Samuel lachte. »Ihr lebt schon zu lange draußen auf Eurer Insel unter Wilden, wenn Ihr denkt, diese Krieger verstünden etwas von Medizin. Dennoch glaube ich, dass es weise ist zu sagen, eine

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