Insel zweier Welten: Roman (German Edition)
gesunde Seele spiele eine wichtige Rolle für die Gesundheit des Körpers.«
Seine Zurechtweisung war in überaus freundlichem Ton erfolgt, doch ich hatte trotzdem das Gefühl, ins Fettnäpfchen getreten zu sein, und wollte mich lieber nicht weiter auf so unsicherem Terrain vorwagen. Es gab durchaus Bereiche, in denen ich mich vielleicht nicht gerade zu meinem Vorteil präsentieren könnte. Ich wechselte das Thema so unauffällig wie möglich, wandte mich den Bücherregalen zu und ließ eine Bemerkung über die große Anzahl von Bänden fallen. Sein Gesicht nahm einen lebhaften Ausdruck an. »Das hier ist meine persönliche Bibliothek – der einzige Luxus, den ich mir leiste.« Schon vorher hatte er einen überaus angenehmen Eindruck auf mich gemacht, doch kaum zeigte ich Interesse an seinen Büchern, wurde er ganz lebhaft, zog seine Lieblingsbände hervor, berichtete, wann er sie gelesen oder wo er sie erstanden hatte. »Liebt Ihr denn Gedichte, Mistress Mayfield? Dann würdet Ihr ja vielleicht gerne diesen Band hier sehen – aus der Feder der ersten Dichterin unserer Kolonie und der Schwester eines der Schüler meines Vaters.« Er drückte mir ein kleines Gedichtbändchen mit dem Titel The Tenth Muse von Anne Bradstreet in die Hände. Ich stieß einen Ruf des Erstaunens aus und erklärte, wie sehr ich diese Frau bewunderte.
»Wie seid Ihr denn auf ihr Werk gestoßen, dort draußen auf Eurer Insel?«
»Gute Frage«, erwiderte ich lächelnd. »Die Handelsschiffe, die den Kanal befahren, sind jedenfalls nicht dafür bekannt, dass sie inmitten ihrer Ladung von Lebensmitteln und anderen notwendigen Dingen auch Gedichte an Bord haben. Obwohl ich davon überzeugt bin, dass jeder, der das Glück hat, öfters welche zu lesen, dies schon bald als Notwendigkeit erachten würde.«
Ich hatte die ganze Zeit auf das Bändchen in meinen Händen geblickt, und als ich aufschaute, erstaunte mich die Veränderung, die in seiner Miene vorgegangen war. Sein Gesicht war ganz weich, sein Blick jedoch noch intensiver geworden. »Jedenfalls bin ich durch puren Zufall auf ihre Gedichte gestoßen. Jemand hatte eine Flugschrift dazu verwendet, eine Flasche einzupacken. Ich hatte es mir zur Angewohnheit gemacht, mir alles Gedruckte anzuschauen, das es bis zu uns herüber schaffte – Nachrichten jeder Art sind, wie Ihr Euch vorstellen könnt, ebenso rar wie kostbar für uns –, und bei diesem Schriftstück hat es sich mehr als gelohnt. Eines von Mistress Bradstreets Gedichten über die verstorbene Königin Elizabeth war dort abgedruckt. Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, Mister Corlett, wie sehr die Entdeckung mich erregte, dass auch eine Frau Gedichte schreiben und veröffentlichen kann, noch dazu solche Gedichte! Und eine solche Frau – eine verlässliche Tochter ohne Fehl und Tadel, eine angesehene Ehefrau und Mutter! Meine eigene liebe Mutter teilte meine Bewunderung für ihre Arbeit, als ich ihr das Gedicht zeigte, und sie bat meinen Vater, nach weiteren Werken für mich Ausschau zu halten.« Ich schloss die Augen, und die Worte, die ich auswendig gelernt hatte, kamen mir wie von selbst in den Sinn und über die Lippen:
»Nun sag, haben Frauen einen Wert? Oder haben sie keinen?
Oder hatten sie einen, und der ging mit unserer Queen dahin?
Wer behauptet, unser Geschlecht wisse nichts von Vernunft,
dem sei gesagt, was heute Verleumdung ist, war einst Hochverrat.«
Bei dieser letzten Zeile musste ich immer lächeln, und als ich die Augen öffnete, sah ich, dass beide Corletts mich anstarrten. Ich errötete leicht. Doch dann lächelte auch Samuel. Seine Zähne waren so krumm wie seine Nase, was jedoch dem strahlenden Lächeln seiner Augen keinen Abbruch tat. »Das hat immer schon zu den Gedichten gehört, die ich von ihr am meisten bewundere«, sagte er. »Ganz schön mutig, finde ich. Sie trifft die Sache im Kern und geht den Männern mit gutem Beispiel voran.« Er streckte die Hand nach dem Büchlein aus und hatte rasch die Seite gefunden, nach der er gesucht hatte. »Da steht es: Elizabeth ist ›ein Vorbild für Könige‹. Gewiss eine seltene Umkehrung unserer derzeitigen Wirklichkeit, doch gewiss eine, die Ihr begrüßen würdet, oder?«
Sein Gesicht war ernst geworden, und ich wollte auf gar keinen Fall eine falsche Antwort geben. Ich fühlte mich wie einer der Studenten, deren Tutor er war, fand den Gedanken aber nicht unangenehm. Wie würde es wohl sein, einen Ehemann zu haben, der sich bemühte, seiner Frau ihre
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