Insel zweier Welten: Roman (German Edition)
ebenso diskutieren könnten, während sie spazieren gingen. Als der Master sich einverstanden erklärte, drehte sich Caleb noch einmal um und fragte, als wäre ihm der Gedanke gerade eben erst gekommen, ob man nicht auch mich dazu bringen könnte, mitzukommen, sozusagen als weiblichen Beistand für Anne.
»Ja, natürlich. Das wäre nur schicklich.« Der Master blickte mich an. »Wenn du, Bethia, nichts dagegen hast, etwas Zeit dafür zu opfern?«
Und so machten wir uns auf den Weg. Kaum waren wir von der Crooked Street abgebogen, beschleunigten Anne und Joel ihre Schritte, als hätten sie sich abgesprochen, sodass Caleb ein wenig zurückbleiben und unter vier Augen mit mir sprechen konnte. Wie immer kam er ohne Umschweife zur Sache. »Anne sagt, du hast einen Verehrer. Sie meinte, heute Morgen hätte er dir eine Art Heiratsantrag gemacht.«
Ich schaute ihn direkt an. »Das stimmt. Ich denke auch, dass er bei der nächsten Gelegenheit formell um meine Hand anhalten wird. Doch ich weiß noch nicht, wie ich ihm antworten soll.«
»Eine Heirat ist für eine englische Frau eine schwere Entscheidung.«
»Wieso sagst du das so? Das ist es doch sicher für jede Frau.«
»Nicht für unsere Frauen. Eine squa hört nach unseren Gesetzen nicht auf, eine eigenständige Person zu sein, nur weil sie geheiratet hat. In den meisten Fällen lebt der Mann bei ihrer Familie, nicht sie bei seiner, weshalb sich an ihrem Alltag nur wenig ändert. Und wenn sie zu einem späteren Zeitpunkt den Mann verlassen und einen anderen heiraten will, dann wird das im Dorfrat besprochen.«
»Mag sein«, sagte ich, ein wenig trotzig. »Aber dafür wird sich der Ehemann, den ich erwähle, keine zweite oder dritte Frau nehmen, so wie es bei deinen Leuten offenbar vorkommt.«
Er schüttelte etwas unmutig den Kopf und zuckte mit den Schultern, während wir weitergingen. Dann fragte er: »Was sagt denn dein Herz zu diesem Sohn von Corlett?«
»Es scheint Ja zu sagen. Aber ich weiß nicht, ob es wirklich Ja zu Samuel Corlett sagt oder nur Nein zu einem Schicksal, das andere für mich bestimmen. Caleb, ich habe in meinem Leben noch nicht oft selbst eine Entscheidung treffen können. Ja, es war mein Entschluss, hierherzukommen, aber das war ein Handeln aus Pflichtgefühl, und weil ich dachte, Gottes Wille sei hier klar zu erkennen. Es schien mir eine fromme Entscheidung zu sein. Diese Ehe jedoch … mir ist nicht ganz klar, was Gott hier von mir erwartet.«
»Wie nennen es die Griechen? Wir haben es gerade erst gelernt. Ist es nicht Hybris? Dass wir glauben, wir könnten Gottes Willen erkennen? Die bessere Frage – die eine Frage in dieser Angelegenheit – ist doch, was du, Bethia, möchtest.«
Das hatte mich noch nie jemand gefragt. Was wollte ich? Ich wollte mein altes Leben zurück, das vor all den Verlusten, die ich erlitten hatte. Ich wollte Mutter zurück, die mich durch diese Zeit begleitet hätte, wie nur eine liebende Mutter ihre Tochter begleiten und führen kann. Und ich wollte wieder Sturmauge sein und die pflichtbewusste Bethia sorglos hinter mir lassen, sie einfach abschütteln wie einen Mantel, den man achtlos und zerknittert am Strand vergisst.
Was ich mir wirklich wünschte – Zuriel an meiner Seite, Solace in meinen Armen –, konnte ich nicht haben. Doch diese Gedanken teilte ich Caleb nicht mit. Stattdessen schüttete ich ihm mein Herz aus, all meine wirren, oft sprunghaften Gedanken bezüglich der Entscheidung, die vor mir lag. Caleb entlockte sie mir, einen nach dem andern, indem er hier eine Frage stellte und dort einen Einwand vorbrachte. Als alles heraus war, brachte er Ordnung hinein und formulierte das Gedachte mit größerer Klarheit, genauso, wie ein Lehrer seine Schüler lehrt, in einem Disput eine klare Linie in ihre Gedanken zu bringen. Erst dann begann ich meine Lage wirklich zu begreifen.
Die Wahl, die ich zu treffen hatte, lautete: entweder eine Ehe mit Noah Merry oder mit Samuel Corlett. Für Ersteren sprach die Insel – ihre Schönheit, ihr natürlicher Reichtum. Ich würde ein einfaches Leben an einem Ort führen, an dem mir jeder Schritt lieb und vertraut war. Wenn die Jahre keine unvorhergesehene Wandlung mit sich brachten, würde ich in Merry einen Ehemann von umgänglichem Gemüt und freundlicher Natur haben. Es würde ein Leben frei von Not sein: ein schönes Haus, eine ertragreiche Farm, eine gut gehende Mühle. Dort konnte ich mich nützlich machen – wie die Frau aus dem biblischen eshet chayil
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