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Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Titel: Insel zweier Welten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geraldine Brooks
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von der Bildung, die man aus Büchern bekommt«, sagte er. »Ich spreche von einer Bildung des Herzens, einem Verständnis, das über den reinen Verstand hinausgeht. Weil sie es nicht hatte, war ihr Leben miteinander … begrenzt. Vater schaute eher in seine Bücher als nach seiner Frau. Sie versuchte es, o ja, und wie sie es versuchte …« Sein Gesicht wurde wieder ernst, als erinnere er sich an ein besonderes Vorkommnis. »Manchmal war es jämmerlich, mit anzusehen, wie sie versuchte, etwas Kluges zu einem der Themen zu sagen, mit denen er sich beschäftigte. Ihr kennt ihn. Ihr wisst, dass er kein liebloser Mensch ist. Er hat wahrlich genug Geduld mit diesen lärmenden Schuljungen, weil er sieht, was in ihnen steckt. Doch dieses Maß an Geduld hatte er mit ihr nie. Oft quittierte er ihre Bemühungen auf überaus schmerzliche und herablassende Art. Das beobachtete ich schon als Junge und bevor ich den Grund dafür hätte benennen können. Damals habe ich mir geschworen, eine solche Ehe niemals einzugehen. Und so habe ich mittlerweile ein Alter erreicht, in dem es wahrscheinlich geworden ist, dass ich allein bleibe.« Er zog einen Zweig des Apfelbaums zu sich herunter und starrte die kleinen Äpfelchen an, doch ich hatte den Eindruck, dass er sie gar nicht sah.
    »Bethia, als Vater am Anfang, als Ihr zu ihm kamt, von Euch sprach, war er voll des Lobes für Euren Verstand. Er sagte mir, wie sehr er sich auf die abendlichen Gespräche mit Euch freue. Zuerst schenkte ich seinen Worten keinen rechten Glauben, denn ich wusste ja, wie er mit meiner Mutter umgegangen war, wie oft er sie angeschwiegen und des Nachts allein gelassen hatte, um noch zu arbeiten. Er ist alt geworden, dachte ich, und einfach nur ein wenig verschossen. In seinem Alter wäre er wahrlich nicht der Erste, der sich noch einmal in ein hübsches, junges Gesicht verguckt. Doch dann bin ich Euch selber begegnet, und ich bewunderte, was ich sah. Es erfüllte mich mit Bedauern, als Vater mir verriet, dass Ihr bereits einen Verehrer habt. Als er mir dann jedoch anvertraute, ihr zöget in Erwägung, jene Verbindung auszuschlagen, schöpfte ich Hoffnung. Und dann war da die Auseinandersetzung mit Eurem Bruder, und Ihr standet bei der Gemeindeversammlung am Beichtstuhl, saht all die anklagenden Blicke und musstet schwerwiegende Vergehen beichten. Und doch war so ein Leuchten um Euch, als Ihr spracht. Ihr habt Eure Vergehen zugegeben, doch Ihr tatet es mit solcher Eloquenz und Würde, dass wohl jeder, der Ohren hatte zu hören, wissen musste, dass es nicht wirklich böse war, was Ihr getan hattet, sondern notwendig und gerechtfertigt.«
    Er verstummte. Ich sagte nichts. Ich selbst erinnerte mich nicht gerne an jene Stunde zurück. Leuchten? Ich hatte mich noch nie in meinem Leben so erloschen gefühlt wie damals.
    Wir gingen weiter. Er blickte mich von der Seite an. »Vor drei Tagen habe ich Euch eine Frage gestellt. Wir wurden unterbrochen, bevor Ihr mir eine Antwort geben konntet.«
    »Seither ist ziemlich viel passiert.«
    »Das ist wahr.«
    »Und das bereitet Euch Sorge?«
    »In der Tat.«
    »Darf ich fragen, in welcher Hinsicht?«
    Er hatte einen Zweig von einem der tief hängenden Äste abgebrochen und riss die jungen Blätter ab, eins nach dem anderen. Schließlich warf er den nackten Zweig beiseite, drehte sich plötzlich um und packte mich an den Schultern.
    »Es war mir nicht in den Sinn gekommen, dass Willensstärke auch Starrsinn bedeuten kann!« Er war laut geworden. Ich wich einen Schritt zurück, befreite mich aus seinem Griff. Obwohl die Bäume dicht belaubt waren, war ich mir nicht sicher, was man von den Fenstern des College aus sehen konnte, und ich hatte keine Lust, den Jungen Anlass zum Klatsch zu geben. Das konnte ich mir auch nicht leisten.
    Mein Kragen war dort, wo er mich gepackt hatte, ganz zerknittert. Ich hob eine Hand, um die Falten im Leinen zu glätten. Er griff grob danach und hielt sie fest.
    »Bethia, warum müsst Ihr Euch so innig mit den Angelegenheiten dieser Wilden befassen? Was bedeuten Euch diese Jungen, dass Ihr solche Bürden auf Euch nehmt, um ihren Ruf zu retten? Ihr saßt dort im Klassenzimmer meines Vaters, und ich sah, dass Ihr keine Sekunde gezögert hättet, den Namen des höchsten Mannes in der Kolonie anzuschwärzen, um sie, wenn nötig, zu verteidigen. Ein Unterfangen, das muss ich hinzufügen, welches für Euch selbst ein großes Risiko dargestellt hätte. Ich ahne durchaus, dass sie in Euren Augen die Arbeit

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