Insel zweier Welten: Roman (German Edition)
falsch eingeschätzt. Und er hätte weder so gesprochen noch so gehandelt, wie ich es getan habe. Ich werde mich bemühen … ich werde beten … dass ich es eines Tages besser mache. Und ich werde dafür sorgen, dass Merry und Großvater rasch das Geld zurückbekommen, das für dich … verzeih mir, ich sollte besser sagen, für mich ausgegeben wurde.«
Mit diesem fast einer Entschuldigung gleichkommenden Bekenntnis hielt ich das Gespräch für beendet. Doch dann hatte Makepeace noch eine Überraschung für mich parat. »Ich bin mir sicher, du wirst nichts dagegen haben, noch anderthalb Monate hier bei Master Corlett allein deinen Dienst zu versehen, oder? Eigentlich wäre ich lieber gemeinsam mit dir nach Hause gekommen. Aber jetzt ist mir die Idee gekommen, mich bei Merry um einen Platz auf seinem Schiff zu bemühen, statt hier Woche um Woche noch länger auf dieses säumige Schiff zu warten, auf dem ich eine Passage gebucht habe.«
Ich war sofort wegen Anne beunruhigt. Mit meinem Bruder im Schlepptau wäre es unmöglich, sie heimlich zu transportieren. »Hat denn Noah Merry Platz für dich?«, fragte ich und versuchte meine Stimme ganz ruhig zu halten. »Wahrscheinlich ist die Passagierliste doch schon längst voll.«
»Woher willst du das so genau wissen?« Er schaute mich argwöhnisch an. »Jedenfalls gehe ich ihn gleich einmal fragen.«
Ich beschloss, ihn in die Irre zu führen, und sagte, Merry habe vorgehabt, direkt zur Anlegestelle zu gehen. Dabei wusste ich sehr wohl, dass Noah auf dem Weg in den Blauen Anker war. Kaum war Makepeace fort, suchte ich Merry selbst auf, wobei ich erneut die Blicke der Zecher im Wirtshaus ertragen musste.
»Ich kann ihn wohl kaum davon abhalten, mit mir an Bord zu gehen«, sagte Merry. »Doch wenn er es tut, werden wir ihm das mit dem Mädchen sagen müssen. Einen anderen Weg sehe ich nicht.«
»Es liegt nicht in seiner Natur, sich über Autoritäten hinwegzusetzen. Ich bezweifele, dass er das Temperament für ein solches Unternehmen hat. Das wird große Probleme geben.«
Doch ich täuschte mich. Ich war so daran gewöhnt, meinen Bruder durch die eine, getrübte Brille unseres angespannten Verhältnisses zu betrachten, dass ich ihn manchmal nicht mehr als den Menschen sah, der er war. Als er von seinem vergeblichen Spaziergang zur Anlegestelle zurückkam, nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und bat ihn um eine Unterredung. Ich sagte, ich wolle ihn um einen großen Gefallen bitten. Er hörte sich ruhig das an, was ich ihm zu sagen hatte, und zog dabei die Stirn in immer tiefer werdende Falten. Doch ich hatte mich von seiner Seite auf jede andere Reaktion eingestellt – auf Zweifel, Wut, Verurteilung – nur nicht auf die, die ich dann bekam.
»Meiner Ansicht nach hat die Kleine schon genug von englischer Hand erduldet«, sagte er. »Wenn das, was du sagst, wahr ist … und ich will es keinesfalls anzweifeln, denn ich weiß, dass du diese Dinge bei Goody Branch gelernt hast, was ich damals freilich nicht guthieß, weil ich dich für zu jung dazu hielt … aber das bringt uns hier nicht weiter. Tatsache ist, dass das Mädchen auf infame Weise missbraucht wurde. Was nun die Beweggründe der Hebamme sind, kann ich nicht sagen, aber es liegt auf der Hand, dass man dir sofort den Mund verbieten wird, wenn du es wagst, eine andere Meinung zu äußern als die ihre. Und noch eine andere Sache ist dir vielleicht gar nicht bewusst: Das Mädchen war immer bei dir – war sie nicht jede Nacht und den größten Teil des Tages mit dir zusammen? Wenn du deine Behauptungen allzu laut werden lässt, dann könnte umgekehrt der Verdacht laut werden, du wärst ihre Kupplerin gewesen.«
Der Gedanke war mir in der Tat noch nicht gekommen. So widerwärtig er auch schien, war mir doch sofort klar, dass mein Bruder vermutlich recht hatte, denn es war nur schwer vorstellbar, dass das Mädchen einer solch schändlichen Tätigkeit nachgegangen wäre, während sie Master Corletts Schule besuchte, wenn ich nicht mit ihr unter einer Decke gesteckt hätte.
Makepeace ließ diese Möglichkeit einen Moment lang auf mich wirken und sagte dann: »So wie ich dich kenne, bist du von deinem Plan nicht abzubringen, oder?«
Da er seine Frage schon selbst beantwortet hatte, erwiderte ich nichts. Er nickte vor sich hin. »Habe ich mir gedacht. Und ich verlange es auch nicht von dir. Dieses Mädchen hat, gelinde gesagt, unter einer beträchtlichen Vernachlässigung derer gelitten, die sie nun vor Gericht
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