Insel zweier Welten: Roman (German Edition)
stellen und zu einer Aussage zwingen würden. Und unter der – nein, ich will es gar nicht aussprechen – allerschlimmsten Verderbtheit. Wer auch immer das getan hat – ein Sünder dieses Kalibers wird alles tun, um seine Sünden zu verbergen. Wenn Merry sich bereits einverstanden erklärt hat, diesem Plan zu folgen, dann werde ich nichts unternehmen, um ihn zum Scheitern zu bringen. Lass sie uns mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, zu Menschen bringen, die in der Lage sind, sie wirklich zu beschützen. Selbst eine Horde Wilder könnte nichts Schlimmeres anrichten als das, was unsere eigenen Leute ihr angetan haben.«
Und so setzten wir unseren Plan in die Tat um, mit Makepeace als unserem unerwarteten Mitverschwörer. Anne, die immer noch bleich und schwach war, griff verängstigt nach meiner Hand, als ich ihr erzählte, was wir vorhatten. Zuerst verstärkte die Aussicht auf eine Seereise mit meinem strengen Bruder und einem Mann, den sie nicht kannte, ihre Angst nur noch. Doch ich erzählte ihr von der Insel, die am Ende der Reise auf sie wartete: von den regenbogenfarbenen Klippen, den kühlen, flinken Bächen, von den satten grünen Wäldern und dem sanften, wässrigen Licht. Ich schilderte ihr so inbrünstig die guten Menschen, die dort für sie sorgen würden, dass mir am Schluss meiner Erzählung Tränen des Heimwehs über die Wangen flossen, doch in ihren müden Augen glomm ein Funke Hoffnung, als ich geendet hatte.
Ihr einziger Kummer war, dass sie sich von ihren Freunden Joel und Caleb verabschieden musste. Ich sorgte für einen kurzen Abschied in aller Stille, und da ich aus Gründen der Schicklichkeit im Raum bleiben musste, blieb mir nichts anderes übrig, als Zeugin dessen zu werden, was zwischen den dreien vorging. Es war deutlich zu sehen, dass eine innige Zuneigung sie verband, obwohl für mich nicht zu erkennen war, ob sie sich mit einem von beiden besser verstand als mit dem anderen. Ich hörte, wie sie sie bezüglich der Seereise beruhigten. Auch sie schwärmten ihr von der Insel vor, sagten, wie froh sie seien, sie dort in Sicherheit zu wissen, und versprachen ihr hoch und heilig, sie zu besuchen, sobald die Umstände es erlaubten.
Zwei Tage später verabschiedete Makepeace sich persönlich von Master Corlett, doch ich weiß nicht, welche Worte des Dankes oder des Bedauerns die beiden wechselten. Im morgendlichen Dämmerlicht ging ich mit meinem Bruder hinaus, und der Hass, den ich einmal für ihn empfunden hatte, war der aufrichtigen Dankbarkeit für seine Besorgnis um Anne gewichen. Er kletterte neben Merry auf den Bock, ich hob zum Abschied die Hand und wünschte ihnen laut eine gute Reise. Dabei legte ich mein ganzes Herz in meine guten Wünsche, denn ich wusste, dass sie auch von jener anderen Passagierin gehört wurden, die, unter Sackleinen versteckt, hinten im Karren hockte.
XIX
»Ihr hättet Euch wenigstens mit mir beraten können.« Samuel Corletts Miene war bitterernst. »Ihr habt meinen Vater in eine überaus schwierige Lage gebracht. Die Schutzbefohlene des Gouverneurs läuft einfach davon …«
»Ich wüsste nicht, dass ich Euch Anlass zu der Vermutung gegeben hätte, an Annes Verschwinden beteiligt gewesen zu sein. Jedenfalls kann ich mir kaum vorstellen, dass der Gouverneur sie immer noch als seine Schutzbefohlene betrachtet, nachdem er so deutlich darin versagt hat, sie zu beschützen.«
»Hütet Eure Zunge. Es könnte sich herausstellen, dass Eure Klugheit nicht immer ein Segen ist.«
»Das sagt man mir schon mein ganzes Leben lang.«
Wir gingen im Apfelgarten spazieren, wo an den Ästen bereits kleine Früchte hingen. Samuel stieß einen lauten Seufzer aus und wandte sich mir zu. »Mein ganzes Leben habe ich gewartet und gehofft, jemandem wie Euch zu begegnen …« Sein Gesicht wollte nicht recht zu seinen Worten passen, denn er wirkte freudlos und gehetzt. Auf einmal packte mich der Schalk, und ich beschloss, ihn ein wenig aufzuheitern.
»Wie heißt es doch gleich? Pass auf, was du dir wünschst, es könnte in Erfüllung gehen.«
Doch er erwiderte mein Lächeln nicht, sondern seufzte noch einmal. »Meine Mutter war eine wundervolle Frau. Fromm, tugendhaft. Aber vom Geiste her konnte sie meinem Vater nicht das Wasser reichen. Nicht im Entferntesten.«
»Das wäre auch sonderbar gewesen«, erwiderte ich, »wenn man bedenkt, dass Euer Vater zwei Titel in Oxford erwarb, während sie die ungebildete Tochter eines Freisassen war.«
»Ich spreche nicht
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