Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Titel: Insel zweier Welten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geraldine Brooks
Vom Netzwerk:
oder von einem anderen Menschen, der sich dafür die Gunst eines Gottes erhoffte, ein Geschenk erhalten würde. Es war üblich, Großzügigkeit mit Großzügigkeit zu vergelten. Vater und Makepeace hatten darüber sogar einmal gestritten, weil Vater der Meinung war, mit dieser Einstellung seien die Indianer christlicher als wir Christen, die wir uns an unsere Besitztümer klammerten, obwohl in der Bibel doch klar und deutlich gefordert wurde, allen irdischen Gütern zu entsagen. Makepeace hatte Vater damals widersprochen und gesagt, die Großzügigkeit der Indianer sei nichts anderes als das Produkt eines heidnischen Aberglaubens, und ließe sich nicht mit der christlichen Agape, der Nächstenliebe, vergleichen.
    Damals wusste ich noch nicht genug, um eine eigene Meinung zu haben. Doch was ich seither erfahren habe, sagt mir, dass weder Makepeace noch Vater die Sache gänzlich erfasst haben, was wohl daran liegt, dass wir diese Welt und unseren Platz darin mit vollkommen unterschiedlichen Augen sehen. Als Vater damals zum ersten Mal hierhergekommen war und um Land verhandelte, hatte der sonquem über die Vorstellung gelacht, jemand könne denken, er besitze Land. »Wenn ich euch sage, ihr könnt es nutzen, um darauf zu jagen und zu fischen und eure Behausungen zu bauen, genügt euch das denn nicht?«, hatte er gefragt. Obwohl Vater bis zum heutigen Tag behauptet, er habe es ihm damals erklärt, bin ich insgeheim immer noch nicht davon überzeugt, dass der sonquem wirklich begriffen hatte, was wir ihm vorschlugen. Jedenfalls kam es diesbezüglich auch zwischen mir und Caleb oft genug zu Verwirrung, teils aufgrund meiner Unfähigkeit, meine Gedanken angemessen in seine Sprache zu übertragen, teils aber auch einfach nur deshalb, weil ich zwar irgendwann die richtigen Worte fand, die Sache, die sie beschrieben seinen Erfahrungshorizont jedoch überschritt.
    Ich sah Caleb an, der noch immer das Buch in der Hand hielt und mich fragend anschaute, und ich wusste nicht, wie ich ihm antworten sollte, ohne ein Zerwürfnis zwischen uns herbeizuführen. Bücher gab es nur wenige in unserer Siedlung, und ein jedes galt als kostbar und wurde nur mit der größten Umsicht an jemand anderen ausgeliehen. Und so sagte ich ihm, ich könne ihm das Buch nicht geben, weil es nicht mir gehöre und es sogar ein Fehler gewesen sei, es ohne Zustimmung meines Vaters aus dem Haus entwendet zu haben. Während ich mich mit meinen Erklärungen abmühte, sah er mich zuerst verblüfft und dann, wie ich befürchtet hatte, verärgert an. »Wenn du dieses Ding so sehr liebst, dann lieb es eben.« Er drückte mir das Buch in die Hände und wandte sich ab, als wollte er gehen.
    »Warte!«, sagte ich. »Ich hab ein anderes Buch. Mein eigenes. Das kannst du haben.« Mein Katechismus, den ich längst auswendig konnte. »Es ist ein viel mächtigeres Buch als das hier. Du wirst bestimmt sagen, dass es voller manit, voller Weisheit, ist. Ich hole es später für dich. Und wenn du die Buchstaben lernen willst, so wisse, dass mein Vater mit diesem Buch betende Indianer und ihre Kinder unterrichtet. Ich bin mir sicher, er würde sich freuen, wenn du an dem Unterricht teilnimmst.« Vater hatte mit Hilfe von Peter Folger im Winter des Jahres 1652 eine Tagesschule eingerichtet. Mittlerweile redete er davon, ein Schulhaus zu bauen, das das erste seiner Art auf der Insel sein würde. Als ich ihn davon reden hörte, war ich von Neid erfüllt gewesen, denn für uns englische Kinder gab es nichts dergleichen, nicht einmal eine Nachbarschaftsschule. Eltern unterrichteten ihre Kinder selbst – oder auch nicht, wie es ihnen beliebte. »Iacoomis unterrichtet auch dort. Sein Sohn Joel, der jünger ist als du, kann bereits das Alphabet …«
    Er runzelte die Stirn und schnaubte angewidert. »Iacoomis hat mir gar nichts beizubringen, und ich werde mich auch nicht mit seinem Sohn hinsetzen, der schon sein ganzes Leben lang mit den Engländern geht.«
    »Warum sagst du das?«
    »Iacoomis war ein Nichts. Seine eigenen Leute haben ihn verstoßen. Und jetzt, seit er mit den Mantelmännern geht und von deinem Gott erfahren hat, redet dieser Mann, der früher kaum einen Bogen spannen konnte, als wäre er ein pawaaw. Auf einmal geht er ganz aufrecht und sagt, dieser eine Gott sei stärker als unsere vielen Götter, und die Dummen unter den Männern hören auf ihn und wenden sich von ihren sonquems und ihren Familien ab. Es bringt uns nichts Gutes, mit den Mantelmännern zu

Weitere Kostenlose Bücher