Insel zweier Welten: Roman (German Edition)
gehen.«
»Das sagst du, und doch gehst du mit mir«, sagte ich leise. Er hatte sich von einem Baum in der Nähe einen Ast abgebrochen und riss mit heftigen Bewegungen die Rinde ab. Dann hob er den nackten Ast, peilte irgendein Ziel damit an, als wollte er prüfen, ob er sich zum Pfeil eignete, und warf ihn schließlich weg.
»Warum sprichst du nicht mit deinem Vater Nahnoso?«, fragte ich. »Als sonquem würde er es vielleicht willkommen heißen, wenn du lesen und schreiben lernst, um das Wissen deines Volkes zu bewahren.« Ich schluckte, weil mir bewusst war, wie schwerwiegend das sein würde, was ich nun sagen wollte. »Du sagst, du strebst danach, dereinst pawaaw zu werden – will ein pawaaw nicht mit jedem Gott vertraut werden? Wenn das so ist, warum nicht auch mit dem englischen Gott?« Damals war ich noch nicht so weit auf Irrwege geraten, um mir nicht bewusst zu sein, wie ketzerisch meine letzte Bemerkung gewesen war. Insgeheim betete ich um Vergebung.
Seine braunen Augen schauten mich wild an. »Mein Vater untersagt dies. Und mein Onkel hasst diejenigen, die auf die Engländer hören. Doch da ich, wie du sagst, mit dir gehe, Sturmauge, kannst du mich ja vielleicht dieses Buch von dir lehren, und mir damit zu dem manit verhelfen, von dem du behauptest, es komme von deinem einen Gott.«
Ich wäre nicht meines Vaters Tochter, hätten diese Worte mir nicht die Möglichkeit aufgezeigt, dass ich hier ein Eisen vor mir hatte, welches es nur noch zu schmieden galt. Denn wenn ich ihm beibrachte, im Katechismus zu lesen, dann …
Vielleicht hätte ich ihm ja gleich mit seinen eigenen Worten antworten sollen: »Das verbietet mein Vater.« Oft genug hatte man mir nämlich eingetrichtert, dass es nicht die Aufgabe von Frauenzimmern sei zu predigen. Frauen sollten nicht einmal in der Versammlung die Stimme erheben, sie durften nicht einmal nachfragen, wenn ihnen etwas unklar blieb, während selbst der ungebildetste Kuhhirte dort seine Ideen vorbringen konnte, solange er nur ein Mann war. Ich selbst war zu Hause privat unterrichtet worden, wann immer ich Unterweisung bezüglich der Heiligen Schrift brauchte.
Doch durfte ich einer Seele, die gerettet werden konnte, den Rücken zukehren? Hatte nicht alles in meinem Leben mich gelehrt, dass dies – die Unterweisung eines Heiden – das beste und höchste Gut und die wichtigste aller guten Taten war? Vielleicht, so dachte ich, wenn ich diesen Jungen unterrichten würde – den Sohn eines Häuptlings und Lehrling eines Hexenmeisters –, dann könnte ich ihn irgendwann, wenn er mit der Heiligen Schrift vertraut war, von Vater bekehren lassen. Dann würde Vater meinen Wert erkennen, würde damit einverstanden sein, mich weiter zu unterrichten und mich all das zu lehren, was er meinem begriffsstutzigen Bruder so mühsam einzutrichtern versuchte.
Und so begann ich noch am selben Tag, Caleb das Alphabet beizubringen.
»A«, sagte ich und zeichnete den Buchstaben in den nassen Sand. »Es wird unterschiedlich lang ausgesprochen. Merk es dir mit dem Satz: ›Adam aß den Apfel.‹« Und schon stießen wir auf die erste Schwierigkeit: Er hatte noch nie einen Apfel gesehen. Ich versprach, ihm einen aus unserem kleinen Obstgarten mitzubringen, wo Vater gleich bei unserer Ankunft ein paar Bäume gepflanzt hatte. Doch dieses kleine Hindernis war nichts im Vergleich zu den Schwierigkeiten, die noch kommen sollten.
Ich begann, ihm von Adam zu erzählen, ihm das Paradies und den Sündenfall zu beschreiben, und wie die Sünde uns alle zu besudeln versucht. Dafür musste ich ihm »Sünde« erklären, wovon er keinen rechten Begriff hatte. Dass er selber schon einmal gesündigt hatte, wollte er nicht einsehen, und als ich ihm sagte, das sei sicher schon einmal geschehen, war er sehr gekränkt. Seine Miene wurde immer finsterer, und schließlich wedelte er abfällig mit der Hand, als wollte er lästigen Rauch verscheuchen, und sagte: »Deine Geschichte ist Unsinn. Warum sollte ein Vater für seine Kinder einen Garten einrichten und ihnen dann verbieten, von seinen Früchten zu essen? Unser Gott aus dem Südwesten, Kiehtan, erschuf Bohnen und Mais, doch er hat Freude daran, dass wir sie essen. Und überhaupt: Wenn dieser Mann Adam und seine squa bei deinem Gott so sehr in Ungnade gefallen sind, warum sollte er dann böse auf mich sein, wo ich bis zum heutigen Tag nichts davon gewusst habe?«
Darauf wusste ich keine Antwort. Mein Stolz hatte einen Dämpfer bekommen, denn offensichtlich
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