Insel zweier Welten: Roman (German Edition)
gutmütiger Mensch ist; doch tief in seinem Inneren ist er stark und durchsetzungsfähig. Und so kam es, dass er ausgerechnet seinen schärfsten Gegenspieler, Giles Alden, nach vorn rief, als es daran ging, aus der Bibel zu lesen.
Ich erschrak. Warum rief Vater diesen Mann nach vorn? Ich hatte Giles Alden gegen Großvater wettern hören, es sei falsch von ihm gewesen, den sonquems Geld für ihr Land zu bezahlen. Das Geld wäre besser anders eingesetzt worden, sagte er, zum Beispiel, um Männer mit Musketen anzuheuern, »damit sie die Wälder von diesen schädlichen Kreaturen befreien und besseres Wachstum ermöglichen.« Während er nach vorne ging, schaute er Caleb mit unverhohlenem Hass an. Seine Brauen waren finster zusammengezogen, und ein wütender Zug lag um seinen Mund.
Als Vater ihm das Buch hinhielt, nahm Alden es blitzschnell entgegen. Dann starrte er auf die Passage hinab, die Vater markiert hatte. Sein Kopf sank tief zwischen die Schultern, und als er wieder zu Vater aufblickte, war sein Gesicht vor unterdrücktem Zorn verzerrt. Er erinnerte mich an einen Schafbock, der die Hörner senkt und gleich zum Angriff übergeht. Ich sank in meinen Sitz zurück und fürchtete den Angriff, der doch mit Sicherheit kommen würde.
Wenn mein Vater ihn auch fürchten mochte, so ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken. Sein Gesicht war ausdruckslos, als er die ausgewählte Stelle ankündigte. Giles Alden, der das Buch offen vor sich liegen hatte, wusste bereits, welche Falle ihm Vater gestellt hatte. Als Vater verkündete, Alden würde aus dem Buch Rut lesen, versuchte ich, die Fassung zu wahren, denn an diesem Tag wurde ich in der Tat auf eine harte Probe gestellt, als Alden die ersten Worte des Lobpreises und des Willkommens an den Fremden, der seine Heimat verlassen hatte, verlas: » und bist zu meinem Volk gezogen, das du zuvor nicht kanntest.« Giles Alden hatte eine volle, tiefe Stimme und war ein guter Vorleser, doch wer ihn vor diesem Tag noch nicht lesen gehört hatte, hätte das nie gedacht. Er stolperte durch die Passage, musste sich mehrfach räuspern, vermutlich weil die Worte, die er gezwungen war vorzulesen, ihm schier im Halse stecken blieben. »Der Herr vergelte dir deine Tat, und dein Lohn müsse vollkommen sein bei dem Herrn, dem Gott Israels, zu welchem du gekommen bist, dass du unter seinen Flügeln Zuversicht hättest.« Als er damit fertig war, schlug er das Buch mit einem lauten Knall zu. In dem schrägen Sonnenstrahl, der hereinfiel, sah ich den Staub aufwirbeln.
Nach Alden bat Vater Makepeace, aus dem Lukas-Evangelium etwas über die zehn Aussätzigen zu lesen, von denen nur einer, der Samariter, zu Jesus zurückkehrt, um ihm zu danken: » Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrte und gäbe Gott die Ehre, denn dieser Fremdling?« Makepeace las die Stelle würdevoller vor, als Alden es getan hatte: Trotz all seiner Makel war mein Bruder eine fromme Seele und tat sein Bestes, das Wort Gottes in sein Herz zu lassen. Auch hielt er sich an das fünfte Gebot und war ein pflichtbewusster Sohn.
Es gab noch mehrere weitere Lesungen. Ich wunderte mich darüber, wie viele Passagen Vater aufgespürt hatte, um seine Botschaft zu vermitteln und, ohne das Risiko von Widerstand, den spirituellen Boden zu bereiten, auf dem Calebs Aufnahme bei uns ruhte. Auch gab er deutlich zu verstehen, dass er keine Widerworte dulden würde. Und das war gut so; Vater hielt seine schützende Hand über das, was in dem morgendlichen Gottesdienst vor sich ging, während wir die Texte und Gebete lasen, die er ausgewählt hatte. Die Nachmittagsandacht verlief ganz anders, denn da legten die Gemeindemitglieder Geständnisse ab und äußerten Prophezeiungen. Diejenigen, die etwas sagen wollten, waren verpflichtet, vor der Zusammenkunft zu Vater oder Großvater, unseren Kirchenältesten, zu gehen, damit ihre Gedanken sorgsam zu etwas geformt würden, das für die Ohren aller geeignet war. Doch es war immer möglich, dass jemand diesen Brauch einfach umging.
Vater schien nicht im Geringsten besorgt zu sein. Nachdem er den morgendlichen Gottesdienst sicher gemeistert hatte, stand er in der Tür, grüßte jeden und stellte Caleb vor, so wie er es mit jedem anderen Neuankömmling getan hätte. Ich stand bei ihm und bemerkte, dass sich die meisten Leute, wenn nicht gerade herzlich, so doch höflich verhielten. Die Aldens warteten natürlich nicht ab, um vorgestellt zu werden, sondern drehten uns so schnell wie möglich
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