Insel zweier Welten: Roman (German Edition)
alles erledigt ist, damit man das Versammlungshaus rechtzeitig zum ersten Gottesdienst erreicht. Niemand hat die Muße, sich mit Begrüßungen aufzuhalten. Alles hastet schnell und mit gesenktem Kopf hinein und nimmt auf den zugeteilten Familienbänken Platz. So taten auch wir es an jenem Tag. Vater ging nach vorn und holte seine Bibel, bereit uns voranzugehen. Makepeace begab sich allein zur vordersten Bank, um auf Großvater zu warten, und ich nahm mit Solace meinen Platz bei den Frauen ein. Ich rang redlich um Fassung, konnte es mir aber dennoch nicht verkneifen, mich gelegentlich umzudrehen, um zu sehen, wer gekommen war, während das Versammlungshaus sich allmählich füllte.
So schwer es auch fällt, das zuzugeben: Ich erkannte Caleb nicht, als er zur Tür hereinkam. Selbst bei hellem Tageslicht ist es in dieser Jahreszeit, wenn die Sonne noch tief am Himmel steht, so finster dort drinnen. Mein erster vager und noch nicht recht ausgeformter Gedanke war, ob denn wohl ein unbekannter junger Mann nach Great Harbor gekommen war, ohne dass jemand dies erwähnt hatte. Dann legte er seinen Umhang ab und drehte mir sein Gesicht zu. Der Lichtstrahl, der sich gerade durch einen Spalt zwischen den Holzplanken stahl, fiel direkt auf ihn, und mir stockte der Atem. Sein auffallendstes Merkmal – das lange, so kunstvoll drapierte Haar – war verschwunden, abgeschnitten.
Er trug ein schönes schlichtes Wams und darüber eine Lederweste, die Großvater gehört hatte und an der Taille und den Schultern umgeschneidert worden war, weil Caleb einen anderen Körperbau hatte. Sein blütenweißer, frisch gestärkter Leinenkragen brachte den Kupferton seiner Haut und das glänzende Schwarz seines gestutzten Haarschopfes besonders zur Geltung. Seine Nägel waren sauber und geschnitten. Nur die Stiefel standen im Gegensatz zu seinem sonst makellosen Äußeren. Sie waren alt und abgetragen und hatten früher offenbar einem Mitglied der Gemeinde mit großen Füßen gehört. Ihr Zustand war auch nach ausgiebigem Wienern nicht zu übersehen. Caleb ging auf Iacoomis und seine Söhne zu, die, ihrer Stellung entsprechend, auf einer kleinen und wackeligen Bank ganz hinten im Versammlungshaus saßen, doch Großvater bedeutete ihm, stattdessen zu ihm ganz nach vorne zu kommen und zwischen ihm und Makepeace Platz zu nehmen. Das war ein kühner Schachzug, und ich hörte einiges Gemurmel, denn wer im Versammlungshaus wo saß, war durch sein Alter, sein Geschlecht, seinen gesellschaftlichen Stand und seine Ämter festgelegt, und wem dergleichen etwas bedeutete, versuchte immer, einen besseren Platz zu ergattern. Unter den an diesem Morgen Anwesenden waren sich nur Vater, ich und die Iacoomis-Familie – und vielleicht noch Großvater – bewusst, dass Caleb, der Sohn des sonquem von Nobnocket, unter seinen Leuten wie ein Thronfolger aufgewachsen war und ihm deshalb eine gewisse Vorrangstellung gebührte. Das fand Makepeace ganz offensichtlich nicht. Von meinem Platz bei den Frauen aus sah ich, wie er sogleich ein Stück nach links rutschte und so einen verräterischen Abstand zwischen sich und Caleb schuf. Vater warf Makepeace einen finsteren Blick zu, woraufhin er ein wenig zurückrutschte, aber immer noch stocksteif dasaß.
Vater begann den Gottesdienst wie gewohnt, indem er einen Psalm ankündigte, den die Gemeinde nachbeten sollte. Zu meiner Überraschung erhob auch Caleb seine Stimme, klar und selbstbewusst, und sprach die Worte Ainsworths ohne Schwierigkeit: » Showt ye to Jahovah …«
Bei uns ist es üblich, beim Gebet die Hände und Augen zum Himmel zu heben, anstatt wie in England den Kopf über den gefalteten Händen zu senken, denn in der Bibel heißt es oft, der Gläubige solle den Blick nach oben, zu Gott, richten. Doch an diesem Tag galten die Blicke mehr dem neuen Gemeindemitglied auf der Bank der Mayfields als dem Himmelreich. Ich sah, wie sich die jüngeren Alden-Kinder anrempelten und miteinander flüsterten, während Patience Alden, die in meinem Alter ist, angewidert das Gesicht verzog, als würde in dem Versammlungshaus etwas schlecht riechen. Während wir sangen, blickten ihre Eltern so bitter drein, als litten sie an der Galle.
Der Morgengottesdienst zieht sich lange hin. Wie schon erwähnt besteht Vater darauf, das Gebot »Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligest« wortwörtlich zu nehmen. Auf viele Psalmen folgten viele Gebete, dann wurde aus der Heiligen Schrift gelesen. Ich sagte bereits, dass mein Vater ein
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