Insel zweier Welten: Roman (German Edition)
das richtige Benehmen an den Tag zu legen. Doch während ich noch dalag, kam mir der Gedanke, dass es mir eigentlich nicht zustand, verärgert oder beleidigt zu sein. Hatte ich in den vergangenen Jahren nicht immer wieder leichtsinnigerweise meinen Ruf aufs Spiel gesetzt, und das ausgerechnet mit dem Menschen, dessen Anwesenheit in unserem Haus meinen Bruder jetzt so beunruhigte?
Jedenfalls erwiesen sich Makepeace’ Bedenken als nicht so groß, dass sie ihn lange wachgehalten hätten. Schon bald hörte ich ihn leise schnarchen. Solaces heißer, kleiner Kopf lag schwer und feucht an meiner Brust. Die Arme hatte sie weit von sich gestreckt, versunken in den tiefen, selbstverlorenen Schlaf, der kleinen Kindern eigen ist. Ich jedoch lag beim schwachen Schimmer des Kienspans noch lange wach, sog den harzigen Duft ein und lauschte dem Rascheln der Seiten, die in dem Zimmer unter uns leise umgeblättert wurden.
II
Ich erwachte in der blauschwarzen Dunkelheit vor dem Morgengrauen und begab mich sofort an meine Pflichten im Haushalt. Seit Mutters Tod hatte sich in meinem Alltag einiges verändert. Ich streifte nicht mehr in der Wildnis umher, um mich den Blicken meiner englischen Landsleute zu entziehen, und ich schlich mich auch nicht davon, um in Büchern zu schmökern. Auch trieb ich mich, wenn mein Bruder Unterricht hatte, nicht mehr im Haus herum, in der Hoffnung, irgendwo Wissen zu ergattern, so wie ein streunender Köter auf einen Bissen aus dem Abfall lauert. Dazu waren meine Pflichten zu beschwerlich geworden. Doch selbst wenn ich während des Tages einmal Zeit und Muße hatte, stand für mich nunmehr fest, dass es, wenn ich Mutter ehren und für meine Sünden büßen wollte, das Beste sei, demütig meinen Pflichten nachzugehen, so wie sie es getan hatte. Ich bemühte mich, jede einzelne Aufgabe im Haus, ob es nun die Zubereitung von Gerstenmalz, das Sammeln von Kräutern oder Pökeln von Fleisch war, so zu sehen, wie sie es getan hatte. Meine Mutter hatte geglaubt, jeder auch noch so bescheidenen Verrichtung würde Gnade innewohnen, wenn man ihr nur mit Würde begegnete. Ich hoffte sehr, dass das stimmte, denn es würde einer großen Menge an Gnade bedürfen, um mich von meinen Sünden zu reinigen.
Und so ließ ich schon vor Sonnenaufgang Solace schlafend auf dem Bett zurück, blieb noch einen Moment stehen, um ihr über das warme Köpfchen zu streicheln und die Decke festzustecken. Während es langsam hell wurde, stand ich an der Feuerstelle, stocherte in den Kohlen und entzündete ein neues Feuer. Vaters Sorge, Caleb könne bei dem Tagesablauf, wie wir ihn gewohnt waren, nicht mithalten, schien unbegründet zu sein. Offensichtlich war er bereits aufgestanden, während es draußen noch stockdunkel war, denn sein Bettzeug lag zu einem ordentlichen Stapel zusammengefaltet in einer Ecke. Einen Moment lang dachte ich, er habe uns vielleicht verlassen und sei in den Wald zurückgekehrt, doch dann sah ich den aus Gras geflochtenen Korb, in dem er seine wenigen Habseligkeiten aufbewahrte, an der Hakenleiste hängen.
Ich ging hinaus, um Wasser zu holen. Als ich mich aufrichtete, um den gefüllten Eimer hochzuheben, sah ich Caleb, der, mit dem Sonnenaufgang im Rücken, von den flachen Dünen am Strand zurückkehrte. Das gefrorene Gras knirschte unter seinen Füßen. Als er sich dem Garten näherte, wünschte ich ihm einen guten Morgen, was er höflich erwiderte. Er legte eine Hand an den Eimer. »Nicht nötig«, sagte ich. »Ich schaffe das schon.« Er lächelte, schien sich jedoch nicht abbringen zu lassen, und weil ich kein Gerangel wollte, ließ ich den Griff los, damit er den Eimer nehmen konnte.
»Du bist früh unterwegs.«
»Immer«, erwiderte er. »Solange ich mich erinnern kann, ist kein Morgen vergangen, an dem ich nicht Keesakand mit einem Lied begrüßt habe, wenn er aufgeht.«
Ich blieb abrupt stehen. Dann war er also wirklich, wie mein Bruder behauptete, immer noch ein Götzenanbeter? Ich war froh, dass ich den Eimer mit dem Wasser nicht mehr in der Hand hielt, denn sonst hätte ich es bestimmt verschüttet.
Er lächelte. »Schau mich nicht so an, Sturmauge. Hat denn nicht Gott die Sonne erschaffen? Und darf ich mich nicht mit einem Lied daran erfreuen? Dein Vater hat mich nie gelehrt, dass der einzige Platz zum Beten in den düsteren vier Wänden eures Versammlungshauses liegt. Der Geist Gottes scheint uns aus jedem göttlichen Ding entgegen. Wundere dich also nicht, wenn ich meine Hände erhebe und
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