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Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Titel: Insel zweier Welten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geraldine Brooks
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Vater hat festgestellt, dass er sehr aufgeweckt ist und bereits mit Latein beginnen kann. Erst vor zwei Tagen kam Vater zu mir, um mir die Nachricht von unserem zukünftigen Hausgast zu überbringen. Er wirkte ängstlich besorgt, vermutlich, weil er dachte, es würde mir missfallen, auf so engem Raum mit einem indianischen Jungen zusammenzuleben. Dafür hatte er sich eine lange Rede zurechtgelegt, in der es darum ging, dass wir doch alle zusammen Christi Kreuz zu tragen hätten, doch gleich bei der ersten Gelegenheit unterbrach ich ihn und sagte ihm, ich sei sehr froh darüber, ihm bei seiner Mission auf so praktische Weise weiterhelfen zu können, und dass ich mich freue, den jungen Mann in unserem Haus begrüßen zu dürfen. Meine Worte erfüllten ihn mit Erleichterung, und er warf mir einen so liebevollen Blick zu, wie ich ihn schon lange nicht mehr von ihm empfangen hatte.
    Wenn Caleb und Joel sich gemäß Vaters Erwartungen entwickeln und von seinem Unterricht profitieren, dann ist es sein Wunsch, dass sie zusammen mit Makepeace aufs Festland fahren und die Aufnahmeprüfung für Harvard ablegen. Offenbar hat das College neben der Abteilung für die Engländer einen zweiten Zweig für die Ausbildung von Indianern eingerichtet, mit dem Ziel, sie zu wirksamen Instrumenten für die Verbreitung des Evangeliums unter den Stämmen zu machen.
    Es ist spät. Meine Augen brennen, und meine Hand krampft. Ich werde nicht weiterschreiben und diese Seite unter all die anderen legen, in ein Geheimfach, das ich unter meiner Matratze eingerichtet habe. Dennoch kann ich nicht sicher sagen, ob ich diese Nacht schlafen werde.
    Indem ich diese Beichte schriftlich niederlege, habe ich meine Sünden offenbart, und ich bereue sie von ganzem Herzen. Seit den Ereignissen, über die ich berichtet habe, und erst recht seit Mutters Tod, habe ich mich von allen Wampanoag ferngehalten, außer von Iacoomis und seinem Sohn, die in jeder Hinsicht so sind wie Engländer. Die Neigung zu Götzendiensten, so wie sie mich früher im Banne hielten, habe ich seither nicht mehr verspürt.
    Doch heute kommt Caleb. Und was dann aus mir wird, kann ich nicht sagen.

Anno 1661
    Aetatis Suae 17
    (Im Alter von 17 Lenzen)
    Cambridge

I
    Ich hätte nicht gedacht, dass ich diese Feder noch einmal in die Hand nehmen würde, nachdem ich sie vor so langer Zeit niedergelegt habe. Doch meine Gedanken brennen lichterloh, und ich habe das Gefühl, dass ich von diesen vergangenen Monaten und meiner gegenwärtig so betrüblichen Situation berichten muss, weit weg von zu Hause, an diesem ungesunden Ort.
    Oft träume ich jetzt von meiner Mutter. Im ersten Jahr nach ihrem Tod war das nicht so. Vielleicht waren es meine Schuldgefühle, die sie von mir fernhielten. Doch jetzt kommt sie zu mir. In den kältesten Nächten des vergangenen Winters besuchte sie mich, drehte sich vom Herd zu mir um, winkte mich zu sich und schloss mich in ihre schützenden, wärmenden Arme. Und dann erwachte ich, auf meiner kalten Strohpritsche in dieser fremden Küche, die eisigen Winde krochen durch das zerbrochene Fenster und griffen nach mir. Eine einsame Schneeflocke schmolz auf dem kalten Herd.
    Ich sehne mich schon lange danach, einmal nach Hause zu fahren, doch meine Situation erlaubt es nicht. Wer in einer solchen Lage ist, kann nicht einfach tun und lassen, wonach ihm der Sinn steht. Makepeace fährt nach Belieben nach Hause – sogar öfter als mein Herr, der Master, es ihm willentlich zugesteht. Jedes Mal, wenn er wegfährt, sehe ich in seinem Gesicht eine gewisse Erleichterung darüber, dass ich hierbleiben muss, auch wenn er tunlichst versucht, es zu verbergen. Vermutlich fürchtet er, wenn ich erst einmal dort bin, könnte ich Dinge über ihn sagen, die ihn in keinem vorteilhaften Licht erscheinen lassen. Makepeace beurteilt alles mit dem harten Maßstab seines eigenen Temperaments. Ihm kommt gar nicht der Gedanke, dass ich bloß einen Brief zu schreiben bräuchte, wenn ich mich wirklich über meine oder seine Lage beschweren wollte. Doch ich nehme mein Los hier hin, und Makepeace’ eigene missliche Lage ist seine Sache. Er muss wissen, dass ein Wort von mir genügt hätte, um diesen Plan von Anfang an zunichtezumachen. Doch ich habe beschlossen zu schweigen.
    Meine Gedanken eilen dahin, und in meinem Verstand herrscht großes Durcheinander. Dennoch will ich schildern, wie wir hierherkamen, in Master Corletts Schule in Cambridge, und was an sonderbaren Dingen seither geschehen ist.

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