Inselglück
betrunkenen Eltern und deren betrunkene Freunde, eine Situation, die Connie zum Heulen demütigend fand. Sie schaffte es nicht, in einem eigenen Apartment zu wohnen, und sie schaffte es kaum, ihren Aushilfsjob zu bewältigen, wie also sollte sie es schaffen, mit einem Baby fertigzuwerden?
»Ich wollte kein Kind«, sagte Connie jetzt zu Dan. »Ich war ja selber noch eins. Ich wollte etwas erleben, eine ganze Menge. Ich wollte Europa bereisen, wie Meredith es getan hatte; ich wollte bei ihrer Hochzeit Brautjungfer sein und heiß aussehen. Ich wollte mich selbst entdecken, mein Potenzial ausloten. Ich hatte an der Villanova University meinen Abschluss in Soziologie gemacht und wollte den Leuten, die meinten, damit könne man nichts anfangen, das Gegenteil beweisen. Ein Baby wollte ich jedenfalls nicht.«
»Und dein Mann?«
»Mein Freund? Ja, der wollte eins.«
Wolf war in dieser Angelegenheit ebenso unnachgiebig gewesen wie Connie. Er war als Protestant aufgewachsen, aber als Erstes appellierte er an ihren katholischen Glauben. War sie nicht dazu erzogen worden, die Heiligkeit des Lebens zu achten? Doch, natürlich. Aber jeder machte Fehler, und Connie hatte sich damit abgefunden, dass die Abtreibung ihr einziger schwerwiegender Fehler sein würde. Sie hatte ihre eigene Buchführung, was Gott betraf, ein System von Ausgaben und Gutschriften. Bis zu diesem Punkt hatte sie untadelig gelebt – von vorehelichem Sex abgesehen – und war der Meinung, dass sie, sogar wenn sie diese eine Todsünde beging, sie mit guten Werken ausgleichen könne, denen sie den Rest ihres Lebens widmete, so dass die Bilanz am Ende in Ordnung wäre. Sie würde weiterstudieren und Sozialarbeiterin in den Armenvierteln von North Philadelphia werden. Dort könnte sie gegen Obdachlosigkeit und Verwahrlosung kämpfen.
»Ich finde es nicht in Ordnung, ein Lebewesen zu töten, das Gott geschaffen hat«, sagte Wolf.
Connie fasste es nicht, dass er den Moralapostel herauskehrte.
»Es ist ein Embryo«, entgegnete sie.
»Aus dem ein Mensch wird. Ein Junge oder Mädchen. Ein Mann oder eine Frau. Unser Kind. Unser erstes Kind, die nächste Generation meiner Familie … Die Zukunft der Flutes ist genau hier.« Wolf legte seine Hand auf ihren Bauch.
Jetzt kapierte sie. Er stand unter dem berauschenden Einfluss des Familienwochenendes. Er spürte den Druck, den seine Eltern und Großeltern ausübten; er wollte seinen Teil dazu beitragen, die Dynastie zu erhalten, den Stammbaum fortzuführen. Connie schüttelte den Kopf und schaute beiseite.
Eine Woche, dann eine weitere Woche lang unternahmen sie nichts. Connie kehrte nach Villanova zurück, zu ihrem Job als Kellnerin im Aronimink, der durch ihren jetzigen Zustand erschwert wurde. Der Geruch von Eiern – unvermeidlich beim Brunch – haute sie um, und sie konnte sich nach ihrer Schicht nicht mehr zu den anderen an die Bar gesellen. Na gut, sie hätte es gekonnt, weil sie das Baby ja nicht behalten wollte. Aber sie tat es nicht.
Connie und Wolf telefonierten jeden Abend. Jedes Mal erklärte er, dass er sie liebe und heiraten wolle.
»Ich wusste, durch eine Abtreibung würde ich Wolf verlieren«, sagte Connie zu Dan. »Und das wollte ich nicht. Ich war wahnsinnig verliebt in ihn. Ich wollte ihn ja auch heiraten, aber erst in ein paar Jahren, und dann wollte ich eine Weile mit ihm verheiratet sein, bevor wir Kinder bekamen. Doch auch davon ließ sich der Mann nicht umstimmen. Er wünschte sich dieses Baby. Und er war sich seiner Sache so sicher, dass ich schließlich einwilligte. Er versprach mir, alles würde gut, besser als gut.«
Connie und Dan saßen mittlerweile auf der untersten Stufe der Treppe zum öffentlichen Landungssteg. Sie hielten nach wie vor Händchen, und obwohl Connie wusste, dass es weitaus später als acht Uhr sein musste, schien Dan nicht in Eile zu sein. Das kam ihr wie echter Luxus vor: mit jemandem zusammen zu sein, der sich damit zufriedengab, zuzuhören. Plötzlich glaubte sie, dieser Ausflug in die Vergangenheit würde sie irgendwo hinführen. Aber auch, wenn er nirgends hinführte, fühlte sie sich gut dabei.
»Bei der Geburt gab es Komplikationen«, sagte sie. »Ashlyn drehte sich während der Wehen, so dass ihr Bein stecken blieb und ich vor Schmerzen schrie – obwohl ich mich jetzt, was ja alle immer versichern, nur noch an mein Geschrei erinnere und nicht an die Schmerzen. Irgendwann riss mein Uterus, und ich musste in den OP . Wenn so was im Mittelalter passiert
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