Inselglück
demonstrativ händchenhaltend, war aber gerade durch eine Bridgepartnerin von Iris beansprucht, die kürzlich ihren Mann durch ein Emphysem verloren hatte. Später, auf dem Weg zur Toilette, entdeckte sie die beiden dann. Connie war nach oben gegangen, um peinlichen Gesprächen mit den Trauergästen zu entgehen, die vor dem Bad im Erdgeschoss Schlange standen, und fand Ashlyn und Bridget in der Tür zu einem der Gästezimmer vor. Bridget hatte Ashlyns Gesicht umfasst, und sie küssten sich.
In ihrer Fantasie hatte Connie diese Situation oft noch einmal durchlebt mit dem Wunsch, ihr Ende möge ein anderes sein. Sie hatte gesehen, wie Ashlyn und Bridget sich küssten – Lippen, Zungen, Hände, aneinandergeschmiegte Körper – , und ausgerufen: »Mein Gott, Ashlyn! Lass das! Hör sofort damit auf!«
Ashlyn hatte sich mit einer Miene, die neben Wut und Trotz zeigte, wie gedemütigt sie sich fühlte, ihrer Mutter zugewandt und war die Treppe hinunter und aus dem Haus gerannt. Bridget war ihr gefolgt.
Später hatte Connie versucht, sich zu entschuldigen, aber ihre Anrufe bei Ashlyn waren alle auf deren Mailbox gelandet. Sie erwog, Ashlyn bei der Arbeit im Krankenhaus aufzusuchen, brauchte jedoch mehrere Tage, bis sie genügend Mut gefasst hatte. Sie sagte sich, je mehr Zeit zwischen ihrem Ausbruch und dem unvermeidlichen Gespräch mit Ashlyn verging, desto besser. Als Connie es dann aber endlich ins Krankenhaus schaffte, erhielt sie die Information, Dr. Flute habe ihre Kündigung eingereicht.
Erst in der Anwaltskanzlei, wo die Einzelheiten von Wolfs Testament besprochen wurden, erfuhr sie, dass Bridget ein Forschungsstipendium an einem renommierten Universitätskrankenhaus angeboten worden war, und dass Ashlyn mit ihr ging. Ashlyn weigerte sich zu sagen, wo dieses Krankenhaus war. Sie sprach überhaupt nicht mit Connie, sondern lachte nur gehässig, als ihre Mutter sie um Verzeihung bat.
»Ich habe es doch nicht böse gemeint«, sagte Connie. Sie hatte sich eingeredet, sie habe auch nicht schärfer reagiert, als Bill O’Brien es getan hätte, wenn er sie und einen Freund bei dem Empfang nach einer Trauerfeier beim Küssen erwischt hätte. (Sie versuchte, ihn im Jenseits zu kontaktieren. Was hätte er gesagt? Was machst du da? Das hier ist weder der richtige Ort noch der richtige Zeitpunkt für sowas! ) Aber die unerquickliche, abscheuliche Wahrheit war, dass Ort und Zeitpunkt wenig mit Connies Reaktion zu tun gehabt hatten. Es hatte sie verstört, mitzuerleben, wie ihre Tochter eine Frau küsste. Es hatte sie … angeekelt. Machte sie das zu einem schlechten Menschen? War es nicht irgendwie verständlich?
»Ihr habt mich einfach aus der Fassung gebracht«, sagte Connie. »Ich hatte nicht erwartet, euch dort anzutreffen. Und ich war sehr aufgewühlt an diesem Tag. Es tut mir leid, Ashlyn.«
Das hatte bei Ashlyn nur Hohngelächter hervorgerufen, und sobald sie in dem Aston Martin saß, den Wolf so geliebt hatte, war sie davongebraust.
»Und das ist das Letzte, was ich von ihr gehört habe«, sagte Connie zu Wolf. »Ich habe herausgefunden, dass sie in Tallahassee praktiziert, in irgendeiner kommunalen Klinik, schätze ich. Ihre Karriere ist der von Bridget untergeordnet. Vielleicht will sie deshalb nicht mit mir reden, vielleicht schämt sie sich, weil sie sich damit begnügt. Natürlich war sie schon vor der Beisetzung wütend auf mich. Für sie bin ich verantwortlich für Wolfs Tod.«
Dan legte seinen Arm um Connie und drückte sie, doch die zu erwartenden Tränen flossen nicht. Es war, wie Dan gesagt hatte: Dadurch, dass sie mit jemandem gesprochen hatte, der eigentlich ein Fremder war, konnte sie endlich ein bisschen Abstand gewinnen. Sie war jetzt in der Lage, sich selbst wie von außen als eine Person zu sehen, die diese Geschichte durchlebt hatte. Hatte sie für Dan schrecklich geklungen? Mein Gott, Ashlyn! Es war nichts, was Connie nicht schon Dutzende Male aus Ärger oder Frustration zu ihrer Tochter gesagt hatte – als Reaktion auf den mit Nagellack bekleckerten Perserteppich oder extremes Zuspätkommen oder den grauenhaften Zustand ihres Zimmers. Hatte es geklungen wie eine Ablehnung von Ashlyns Sexualität? Wie ein Aufschrei gegen Toleranz? Hielt Dan sie für bigott? Connie hatte bisher selbst nicht so recht gewusst, wie sie ihren Ausbruch einordnen sollte, denn es hatte etwas in ihrem Tonfall mitgeschwungen, eine Emotion, die sie nicht benennen konnte. Wut? Verlegenheit? Abscheu? Sicher nicht. Aber
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