Inselglück
»Vergiss ihn, verlass ihn, reich die Scheidung ein, trenn dich von ihm. Das hier ist deine Chance.«
»Okay«, sagte Meredith. »Ja, du hast recht. Du hast recht. Wie geht es dir? Wie geht es euch?«
Carvers Stimme wurde weicher. »Aber er hat dich wirklich geliebt, Mom. Das macht mich ja so fertig an der Sache. Er hat dich verehrt wie eine Königin, eine Göttin. Leo ist derselben Meinung. Er weiß auch Bescheid.«
Leo, dachte Meredith. Sie wollte mit Leo reden. Er war so ein anständiger Kerl, so ein guter Junge, wie er da auf Knien Wachs von dem harten Kirchenfußboden gekratzt und Merediths Hilfe abgelehnt hatte. Meredith war einmal mitten in der Woche nach Choate gerast, um Leos Lacrossespiel zu sehen. Sie fuhr mit dem Jaguar viel schneller als erlaubt und schaffte es daher rechtzeitig, Leo zu überraschen, und er schlug das siegbringende Tor. Meredith jubelte ihm zu, und danach lud sie Leo und Carver und zwei Mitspieler ins Carini’s zu Pizza ein. Sie schaffte es zurück in die Stadt, bevor Freddy von der Arbeit nach Hause kam, und erzählte ihm, sobald er die Wohnung betrat, was sie getan hatte; sie berichtete von dem Tor und davon, wie überrascht Leo gewesen war, sie zu sehen, und dass er ihr einen Abschiedskuss gegeben hatte, obwohl seine Freunde dabeigestanden hatten.
Freddy hatte müde gelächelt. »Du bist eine wunderbare Mutter, Meredith.« Aber in Gedanken war er woanders gewesen.
»Geht’s dir gut?«, fragte Meredith jetzt. »Geht es Leo gut?«
Carver seufzte. »Wir kommen zurecht, Mom.«
Doch was bedeutete das? Kam er wirklich zurecht? Meredith hatte sich die beiden in einem großen, verstaubten viktorianischen Haus vorgestellt und wollte etwas über das Haus hören, darüber, wie sie die Böden abschliffen oder die Fußleisten strichen.
»Wir haben dich lieb«, sagte Carver. »Aber ich habe angerufen, um mich zu vergewissern, dass du das Richtige tust. Reich die Scheidung ein. Bitte. Versprich es mir.«
Sie hätte es gern versprochen, doch sie konnte nicht. Keiner verstand sie. Sie war absolut allein. Sie geriet in Panik, weil sie Carvers Stimme anmerkte, dass er das Gespräch beenden wollte, und es gab noch so viel zu sagen. So vieles, was sie wissen wollte. Er würde auflegen, und sie hatte seine Nummer nicht. Sie würde ihn verlieren, wie Freddy, wie ihren Dad.
»Warte!«, sagte sie. »Deine Nummer! Kann ich dich anrufen?«
Wieder ein Seufzen. Aus Carver war jemand geworden, der wie ein enttäuschter Vater klang.
»Julie Schwarz möchte, dass Leo noch wartet«, erklärte er. »Bis sich der Rauch ein bisschen verzogen hat. Und das gilt auch für mich. Ich hätte dich gar nicht anrufen dürfen, aber ich musste. Ich musste mit dir reden.«
»Ich weiß«, sagte Meredith.
»Du hast mich doch verstanden, oder?«
»Ja«, flüsterte sie.
»Ich hab dich lieb, Mom. Und Leo hat dich auch lieb«, sagte Carver und legte auf.
»Ich habe euch auch lieb. Ich habe euch auch lieb!«, sagte Meredith. Dann wurde ihr bewusst, dass sie mit einer toten Leitung sprach, und ebenso, dass sich noch andere Menschen im Raum befanden: Toby, der sie beobachtete, und Connie, die beobachtete, wie Toby sie beobachtete.
Connie
Sie hätte zum Abendessen zu Dan fahren sollen. Als sie ihn angerufen und gesagt hatte, sie würde zu Hause bleiben, meinte er, dann würde er vielleicht allein ausgehen. Sie stellte sich vor, wie er an der Bar vom A. K. Diamond’s saß, wo er jeden kannte und ihn alle kannten, wo ihm seine alten Flammen begegnen würden oder die niedliche Rezeptionistin aus dem Kosmetiksalon sich auf den Hocker neben ihm setzen würde. Connie hätte ihn nur zu gern begleitet, doch das konnte sie nicht; ihr Gesicht war in allen Nachrichtensendungen. Und tatsächlich: Als sie ihr Handy überprüfte, waren Anrufe von Iris und Lizbet eingegangen, die sie auf CNN gesehen hatten. Sie konnte nirgendwohin.
»Vergiss nicht, dass ich ab Freitag in New Hampshire bin«, gab Dan zu bedenken.
Connie hatte gezögert. Dan wollte mit Donovan und Charlie einen dreitägigen Campingausflug in die White Mountains machen. Von da aus würde er sie nicht einmal anrufen können.
»Ich muss hierbleiben«, sagte Connie. Sie wusste, er wartete darauf, dass sie ihn zu sich einlud, aber das ging auch nicht. In diesem Haus lagen die Nerven allzu blank. »Morgen ganz bestimmt.«
Aber jetzt wünschte sie, sie wäre gefahren. Sie sah, dass Meredith ihr Telefonat beendete. »Das war Carver«, verkündete sie.
Connie konnte sich
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