Inselglück
kaum zu einem Nicken überwinden. Schließlich war sie diejenige gewesen, die abgenommen und Carver hatte sagen hören: »Hi, Tante Connie? Hier ist Carver. Ist meine Mom da?« Connie war von einem Gefühl überfallen worden, das sie nicht hatte identifizieren können, obwohl sie jetzt vermutete, dass es schlichtweg Neid gewesen war, geballter Neid, Neid in seiner reinsten und hinterhältigsten Form. Merediths Sohn hatte sie angerufen. Er hatte die Nachrichten gehört, Meredith kontaktiert und ihr gesagt, dass er sie liebte. Connie war zutiefst verletzt und fühlte sich klein und hässlich. Sie wusste, dass ihr Handy, auch wenn sie es noch einmal checkte, weder eine Nachricht noch einen verpassten Anruf von Ashlyn anzeigen würde, obwohl ihr Gesicht den ganzen Tag über im Fernsehen gewesen war.
Seit dem Anruf von Carver wirkte Meredith ein wenig munterer – wenn sie auch einräumte, dass er kaum ein Wort über sich selbst verloren hatte. Sie wusste nach wie vor nicht, wo er lebte oder woran er arbeitete oder ob er noch Freunde hatte oder verliebt war.
»Er hat nur angerufen, um sich zu vergewissern, dass ich die Scheidung einreiche«, sagte sie.
»Und was hast du ihm geantwortet?«, fragte Connie.
Toby starrte Meredith an, die darauf nichts erwiderte.
»Mein Angebot steht«, versicherte Connie. »Wenn du dich von Freddy scheiden lassen willst, zahle ich dafür.«
Meredith sagte nichts. Connie sah, dass die Strahlkraft des Anrufs langsam schwand. Meredith versank allmählich wieder in ihren vorherigen Abgründen.
»Er hat gesagt, er hat mich lieb«, sagte sie dann.
»Natürlich hat er dich lieb«, sagte Toby. »Er ist dein Sohn.«
Als um halb acht die Sonne unterging, klingelte das Telefon erneut. Sonnenuntergang um halb acht? Gott, der Sommer war fast vorbei; die Zeit wurde knapp. Dan würde übermorgen zu seiner Campingtour aufbrechen, und wenn er zurückkam, blieb ihnen nicht einmal mehr eine gemeinsame Woche. Im letzten Jahr, erinnerte sich Connie, war sie dankbar für das Ende des Sommers gewesen. Der Sonnenschein und der Strand und die erzwungene Fröhlichkeit hatten sie nur noch angestrengt. Letzten Sommer hatte sie nicht aufs Meer blicken können, ohne an Wolfs Asche zu denken. So vieles hatte sich in einem Jahr geändert; sie sollte glücklich darüber sein.
Toby war am Telefon und überprüfte die Anruferkennung. »Unbekannt«, sagte er. »Soll ich abnehmen?«
»Nein«, sagte Connie, aber Meredith sagte: »Mach doch«, und da Merediths Antwort bei Toby immer Vorrang vor Connies Antwort haben würde, hob er ab.
»Hallo?« Er zögerte, schaute auf Meredith und sagte: »Dürfte ich wissen, wer da spricht?« Wieder eine Pause und dann: »Ich hole sie nicht an den Apparat, wenn Sie mir nicht sagen, wer Sie sind.«
Und, an Meredith gewandt: » Sie ist es.«
»Samantha?«, fragte Meredith.
Toby nickte.
»Nein«, lehnte Meredith ab.
Toby legte auf. Connie dachte: Ich habe ihm gesagt, er soll nicht rangehen, aber ihr Herz machte einen Satz. Sie gab es ungern zu, doch es war aufregend, derartige Dramen mitzuerleben.
»Warte mal«, sagte sie. »Das war Samantha? «
»Samantha Deuce«, bestätigte Toby.
Meredith schüttelte langsam den Kopf.
»Du wirkst gar nicht überrascht«, meinte Connie.
»Sie hat schon mal angerufen.«
»Wirklich?«
»Ich habe abgenommen, und als ich merkte, dass sie es war, habe ich mich geweigert, mit ihr zu reden und aufgelegt.«
»Wow«, sagte Connie, »die Frau hat Nerven.«
»Das stimmt«, sagte Meredith.
Connie stellte Cracker mit Blaubarschpastete auf den Tisch, aber keiner mochte essen. Es wurde dunkel, und Connie dachte: Ich sollte Licht anmachen, doch Lampen erschienen ihr zu grell, vielleicht auch zu optimistisch, deshalb zündete sie Kerzen an, wie sie es bei einem Gewitter tun würde. Schade, dass es nicht regnete. Ein Unwetter hätte zur Stimmung gepasst.
Connie hatte Lust auf Wein. Vor drei Wochen wäre sie schon bei ihrem dritten Glas gewesen. Und Dan war nicht hier, also … sie schenkte sich welchen ein.
»Meredith, möchtest du Wein?«, fragte sie.
»Ob ich Wein möchte? Ja. Aber ich sollte keinen trinken. Nein.«
Connie hätte auch keinen trinken sollen, tat es jedoch trotzdem. Beim ersten Schluck dachte sie: Erlöse mich. Aber der Wein schmeckte sauer; er schmeckte nach Kopfschmerzen. Sie schüttete ihn in den Ausguss und holte sich ein Glas Eiswasser mit Zitrone. Sie wusste, dass sie sich etwas fürs Abendessen überlegen mussten. Meredith
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