Inselglück
sorgen, sich nichts mehr wünschen musste.
Der Tisch auf der Terrasse war mit Tuch und Kerzen gedeckt. Eine Brise vom Meer brachte einen Anflug von Kühle.
Der Herbst war im Anmarsch.
Connie wickelte sich in eine Stola und sagte: »Bon appétit! Ich muss jetzt los. Morgen früh bin ich wieder da. Dan nimmt die Mittagsfähre.«
»Das hier sieht toll aus«, sagte Meredith. »Vielen Dank.«
»Und im Kühlschrank steht Dessert«, verkündete Connie.
»Viel Spaß«, sagte Toby und schob sie sanft in Richtung Haustür.
Sie ging, und Meredith fühlte sich, als sei Connie die Erwachsene und sie und Toby Teenager, die ein Date hatten. Die Situation war ganz auf Romantik getrimmt – das Kerzenlicht, das köstliche Essen, der Ozean vor ihnen wie eine Broadway-Show. Meredith hätte sich herausputzen sollen, doch sie trug noch dieselben Sachen wie heute Morgen: ein verschlissenes Choate-T-Shirt, das Carver in seinem letzten Schuljahr getragen hatte, und ihre marineblauen Sportshorts. Sie wusste, es war möglich, dass sie in diesen Sachen einschlafen und sie am nächsten Tag wieder tragen würde. Es kümmerte sie nicht, wie sie aussah. Sogar ihre Haare kümmerten sie nicht.
Dreißig Jahre Ehe, und er wollte nicht mit ihr reden. So viele Abendessen bei Rinaldo’s, bei denen sie mit Freddy zusammengesessen hatte, wie sie jetzt mit Toby zusammensaß, und sie hatte über ihren Tag gesprochen, und Freddy hatte genickt und Fragen gestellt, und wenn Meredith sich nach seiner Arbeit erkundigt hatte, war er sich mit den Händen durch die Haare gefahren und hatte auf seinen BlackBerry geschaut, als würde auf dessen Display eine passende Antwort angezeigt, und dann etwas über den Stress und die Unvorhersehbarkeit seines Berufs gesagt. Und Meredith hatte keine Ahnung gehabt, dass Freddy auf einem uralten Nadeldrucker falsche Belege ausdruckte oder dass er seine Mittagspause mit Samantha Deuce im Stanhope Hotel verbrachte. Freddy hatte vorgetäuscht, Meredith mit größtem Respekt zu begegnen, aber in Wahrheit musste er sie für blind und leichtgläubig und dumm gehalten haben. Sie war wie … seine Mutter, Mrs Delinn, die sich abmühte, Freddy zu versorgen und ihm Liebe zu geben. Er wird so tun, als käme er ohne sie aus, aber Freddy braucht seine Liebe. Und Meredith hatte die Pflege und Instandhaltung von Freddy Delinn nur allzu gern übernommen. Er war ein reicher Mann und sie diejenige, die ihm den Rücken massierte und ihn auf die Lider küsste und verbissen gegen alle in Schutz nahm, die ihn als unredlich bezeichneten.
Eines Nachts Anfang Dezember war Freddy im Bett plötzlich heftig erschauert, und als Meredith sich umdrehte, sah sie, wie seine Augen aufflogen. Sie strich ihm über die silbergrauen Haare und fragte: »Was ist? Was hast du?«
Er sprach nicht, riss nur die Augen noch weiter auf. War er wach?
»David«, sagte er
Meredith dachte: David? Wer ist David? Und dann wurde ihr klar, dass er seinen Bruder meinte.
»Alles in Ordnung«, sagte sie. »Ich bin hier.«
Und er wandte sich zu ihr und sagte: »Du verlässt mich doch nicht, Meredith, oder? Versprich es mir. Komme, was wolle.«
»Komme, was wolle«, versprach sie.
Freddy schloss die Augen, aber Meredith sah manische Aktivität unter seinen zuckenden Lidern. Sie blieb wach, solange sie konnte, und beobachtete ihn. David . Warum er wohl von David geträumt hat?
Jetzt aber argwöhnte sie, dass er gar nicht an David gedacht hatte, sondern nur an das viele Geld, an die Börsenaufsicht, an drohende Ermittlungen, an seine Angst davor, erwischt, entdeckt, angeklagt, verurteilt und eingesperrt zu werden. Er hatte den Namen seines Bruders ins Spiel gebracht, um Meredith von der richtigen Fährte abzubringen, seine wahren Sorgen zu vertuschen. Selbst wenn er nur halb bei Bewusstsein war, wusste er sie zu belügen.
Komme, was wolle, hatte Meredith versprochen, jedoch keine Ahnung gehabt, welche Art von »was« er meinte.
»Ich glaube, ich kann nichts essen«, sagte Meredith. Toby hielt sein Besteck geduldig in der Schwebe über seinem Teller und wartete auf sie.
Seine Miene verdüsterte sich. »Der Typ ist der widerlichste Scheißkerl auf Erden. Er hat dich nicht verdient.«
Es war verwirrend, diese Worte von Toby zu hören. Höchstwahrscheinlich hatte Freddy vor vielen Jahren, als Meredith ihm erzählte, dass Toby am Abend ihrer Highschool-Abschlussfeier mit ihr Schluss gemacht hatte, etwas Ähnliches zu ihr gesagt. Ohne ihn bist du besser dran. Er hat dich
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