Inselglück
Sie nicht sehen«, sagte Dev, »und auch dazu kann man ihn nicht zwingen. Sie würden umsonst fahren, Meredith. Das ist so eine romantische Vorstellung à la Hollywood: Sie besuchen ihn, er sieht Sie, es macht Klick, und er überschüttet Sie mit Erklärungen und Entschuldigungen. Aber das wird nicht passieren. Er ist ein kranker Mann, Meredith, nicht der Mann, den Sie kannten.«
Sie hatte diese Behauptung satt, obwohl sie wusste, dass sie zutraf.
»Sie sagen mir also, ich darf nicht fahren?«
»Ich sage Ihnen, Sie sollten nicht fahren, weil es umsonst wäre. Natürlich können Sie sich der Hitze und Trostlosigkeit von Butner und dem ganzen Medienzirkus aussetzen, Sie können Nancy Briggs kennen lernen und Cal Green, den Direktor, aber die werden Ihnen auch nur dasselbe sagen wie ich: Ihr Mann will Sie nicht treffen. Er will nicht mit Ihnen reden.«
»Ich würde ihn doch nicht anschreien oder beleidigen oder ihm eine Szene als eifersüchtige Ehefrau machen. Ich will bloß Antworten.«
»Sie werden keine Antworten bekommen.«
Meredith konnte nicht glauben, was sie da hörte. Sie hatte gedacht, die Gefängnisverwaltung würde Schwierigkeiten machen, aber wie es aussah, hätte man ihr den Anruf gern ermöglicht – nur Freddy lehnte ab. Das war das Allerschlimmste: Er hatte Unmengen von Geld gestohlen, die Börsenaufsicht belogen und die gesamte Volkswirtschaft geschädigt und Meredith sechseinhalb Jahre lang mit einer Frau betrogen, die sie für ihrer beider beste Freundin gehalten hatte. Er hatte Meredith Zehntausende Male angelogen – na schön. Doch was sie ihm nicht verzeihen konnte, war das jetzt, sein eisernes Schweigen. Er schuldete ihr ein Gespräch. Er schuldete ihr die Wahrheit – so ungeheuerlich sie auch sein mochte. Aber die Wahrheit würde in Butner eingesperrt, in den rußschwarzen Winkeln von Freddys gestörtem Verstand verschlossen bleiben.
»Gut«, sagte Meredith und knallte den Hörer auf. Sie war wütend. Wütend! Sie würde vor der Presse eine Erklärung abgeben, in der sie ihn verleumdete. Sie würde Freddy vernichten und mit ihm die Hure, die Samantha Champion Deuce unstrittig war. (Sie schrieb schon ihre eigenen Post- Schlagzeilen: EHEBRECHER - CHAMPION , CHAMPION DER HINTERHÄLTIGKEIT .) Meredith würde die Scheidung einreichen, und dreihundert Millionen Amerikaner würden sie unterstützen, sie in ihrer Position stärken. Sie würde ihre Stellung in der Gesellschaft zurückerlangen; sie würde Vorträge halten.
Sie drehte sich um. Da stand Toby, und irgendetwas an seinem Gesichtsausdruck ließ Merediths Zorn platzen wie eine Seifenblase.
»Er will nicht mit mir sprechen«, sagte sie. »Er weigert sich. Und sie können ihn nicht dazu zwingen.«
Toby nickte langsam. Meredith rechnete damit, dass er die Gelegenheit ergreifen würde, zu erklären, Freddy sei eben ein Mistkerl, ein Stück Scheiße. Welchen Beweis brauchst du noch? Doch stattdessen entgegnete er: »Vielleicht überlegt er es sich ja noch anders.«
Meredith lächelte traurig und ging auf die Haustür zu, weil Connie im Escalade auf sie wartete. Sie wollten in den Supermarkt. Meredith hatte vorgehabt, ihre Perücke aufzusetzen, doch das erschien ihr plötzlich sinnlos. Die Perücke hatte sie schützen sollen, aber das erübrigte sich nach diesem Tiefschlag. Nichts konnte sie jetzt noch treffen; die Perücke war überflüssig geworden. Meredith legte sie auf die Treppe. Wenn sie zurückkamen, würde sie sie wegwerfen.
Und Toby war so nett in Bezug auf Freddy, weil er sich das leisten konnte. Er wusste genauso gut wie Meredith, dass Freddy es sich nie anders überlegen würde.
Bevor Connie sich mit Dan traf, machte sie noch Abendessen für Meredith und Toby, und zwar Pasta mit Krebsfleisch und sautierten Zucchini in einer Zitronen-Estragon-Sauce, einen Salat aus Tomaten, Blauschimmelkäse und Basilikum, bestreut mit gerösteten Pinienkernen und beträufelt mit ausgelassenem Speck, sowie frische Brötchen mit Kräuterbutter.
Unglaublich, dachte Meredith. Connie hatte geduscht und sich angekleidet. Sie sah absolut fantastisch aus, und sie hatte diese Mahlzeit zubereitet.
»Ich habe ein schlechtes Gewissen«, sagte sie. »Das hättest du Dan servieren sollen.«
»Ich habe es ihm ja angeboten«, sagte Connie. »Aber er wollte ausgehen.«
Ohne uns, dachte Meredith. Mal wieder. Aber es lag etwas beinahe Tröstliches darin, diesen Punkt erreicht zu haben – wenn man nichts mehr zu verlieren hatte, sich um nichts mehr
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