Inselglück
jetzt rein und schließen alle Fenster auf dieser Seite des Hauses. Ich werde ungefähr zwei Stunden brauchen, schätze ich. Und es wird laut.«
»Kein Problem.«
»Okay, dann fange ich mal an. Mein Tank fasst knapp sechzigtausend Liter, aber das hier ist eine so große Sache, dass ich vielleicht Ihren Wasserhahn anzapfen muss, um meinen Reservetank aufzufüllen. Können Sie mir zeigen, wo der ist?«
»Kann ich«, sagte Connie. »Er ist gleich um die Ecke.« Sie führte ihn um das Haus herum, an dessen Seite ihr aufgerollter Gartenschlauch lag. Er schaute aber gar nicht auf den Hahn, sondern auf den Ozean.
»Was für ein Fleckchen«, sagte er. »Im guten alten Tom Nevers. Ich hatte ganz vergessen, wie atemberaubend es hier ist.«
»Ja«, entgegnete sie. »Das Land hat der Familie meines Mannes schon seit den 1920ern gehört, aber das Haus haben wir erst vor fünfzehn Jahren gebaut. Und dann ist mein Mann 2009 gestorben, und jetzt gehört es nur noch mir.«
»Komisch«, sagte Dan, der immer noch aufs Meer blickte. »Meine Frau ist auch 2009 gestorben. Brustkrebs.«
»Gehirntumor«, sagte Connie.
Sie schwiegen einen Moment, und Connie musste an ihre Freundin Lizbet denken, die Connie zweieinhalb Jahre lang geraten hatte, sich eine Selbsthilfegruppe zu suchen, wo sie Leute kennen lernen könne, die dasselbe durchmachten wie sie.
Connie schaute Dan Flynn an und lächelte. »Ich kümmere mich mal um die Fenster.«
»Prima«, sagte er.
Connie hüpfte ins Haus. Sie fühlte sich beschwingt wie schon lange nicht mehr.
Als sie die Fenster im Erdgeschoss zumachte, sah sie, wie Dan um seinen Tankwagen herumging, an Schaltern drehte und einen dicken blauen gerippten Schlauch hervorholte. Er trug Jeans, ein T-Shirt und Joggingschuhe. Er hatte kurz geschorene braune, leicht ergraute Haare und einen Dreitagebart wie dieser ehemalige Quarterback, den sie so sexy fand. Sexy? Sie fasste es nicht, dass ihr dieser Gedanke kam.
Connie musterte sich im Spiegel. Sie hatte in den letzten zweieinhalb Jahren einiges an Strahlkraft verloren – aber sah sie wirklich so schlecht aus für fünfzig? Ihr Haar war nach wie vor rotblond. Das hatte sie den guten Genen ihrer Mutter zu verdanken, denn Veronica war im Alter von achtundsechzig mit einem üppigen roten Schopf von ihnen gegangen. Connie hatte grüne Augen, einen leicht gebräunten Teint und einige Sommersprossen. Ihre Haut war nicht makellos; sie hatte es nie geschafft, sich von der Sonne fernzuhalten. Sie war nicht in Bestform, wenn auch sehr dünn, weil sie ständig Mahlzeiten ausließ. Ihre Nägel waren eine Katastrophe, ebenso ihre Augenbrauen. Sie musste wieder anfangen, sich besser zu pflegen. Sie musste Sport treiben.
Ha! All das als Reaktion auf den attraktiven Dan Flynn? Meredith würde sich totlachen.
Connie stieg die Treppe hinauf, um auch im ersten Stock die Fenster zu schließen. Dan hatte schon mit der Arbeit begonnen. Der Lärm war unglaublich; es klang, als würde das Haus von Kampfjets angegriffen. Connie beeilte sich. Dan stemmte den Schlauch gegen seine Hüfte und schoss einen Wasserstrahl auf die Wand, der durch seine Geschwindigkeit völlig kompakt wirkte. Dans Körper vibrierte, als ob er einen Pressluftbohrer betätigte; alle Muskeln in seinen Armen traten hervor. Das Ganze sah reichlich phallisch aus.
»Meredith«, sagte Connie. »Komm her, das musst du dir angucken.«
Keine Antwort. Connie war sich ziemlich sicher, dass die Farbe abgehen würde. Vorn auf dem Rasen hatten sich schon Pfützen gebildet, giftgrün.
»Meredith?«, rief Connie.
Sie hatte sämtliche Fenster auf der Vorderseite des Hauses geschlossen und machte sich, nur um sicherzugehen, jetzt daran, auch alle übrigen Fenster zu schließen, obwohl es in den Räumen dahinter mörderisch heiß werden würde. Das Haus hatte eine zentrale Klimaanlage, nur schaltete Connie sie wie die Alarmanlage nie ein.
Sie trat in den Flur. Die Tür zu Merediths Zimmer war zu. Connie erinnerte sich an ihre ausdruckslose Miene, als sie am Tisch gesessen und die Namen der Investoren rezitiert hatte. (Sie habe fast dreitausend Namen auswendig gelernt, berichtete sie, als eine Art Buße. So habe sie sich die Zeit in ihrem New Yorker Apartment vertrieben, nachdem Freddy verhaftet worden war.)
Connie beschlich ein komisches Gefühl. Sie klopfte an die Tür.
»Meredith?« Keine Antwort. Vielleicht schlief sie. Connie wollte Merediths Privatsphäre wirklich respektieren, ebenso, wie sie ihre eigene
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