Inselglück
Kisten schmiegten und in den buntesten Farben präsentierten – lila Kohlköpfe, grüne Zucchini und Gurken, gelber Sommerkürbis. Connie erstand einen wunderschönen zarten Salat und einen Strauß leuchtender Gladiolen, den Meredith entgegennahm. Sie war froh darüber, Blumen tragen und an einem Marktwagen einkaufen zu dürfen, und fragte sich, was die Jungen wohl machten. Sie hoffte, dass Leo, vorübergehend sorglos, mit Anais Fahrrad fuhr oder Golf spielte. Der arme Freddy saß heute Tag vier seiner einhundertfünfzigjährigen Haftstrafe ab. Er hatte eine Ewigkeit aus Stacheldraht und Trostlosigkeit vor sich. Gut möglich, dass sie, Meredith, im nächsten Jahr um die gleiche Zeit selbst im Gefängnis sein würde.
Doch darüber durfte sie nicht nachdenken.
Connie führte sie um die Ecke und die kopfsteingepflasterten Straßen entlang zu Nantucket Bookworks, wo sie sich den Luxus gönnten, ausgiebig zu stöbern. Meredith hielt sich von den Sachbüchern fern; es waren bereits Titel über das böse Reich von Delinn Enterprises erschienen, sicherlich in aller Eile verfasst und voller Ungenauigkeiten und Mutmaßungen. Meredith nahm an, dass zumindest in einem davon Hintergrundinformationen über Freddy und womöglich auch über sie geliefert wurden. Aber ob die stimmten? Stand da etwas über Merediths idyllische Jugend? Über ihre abgöttische Liebe für ihren Vater? Über ihre guten Zensuren, ihr hervorragendes Abschneiden bei Prüfungen, ihren nahezu perfekten anderthalbfachen Rückwärtssalto? Wurde die Frage gestellt, wie sich ein Mädchen, das so viel auf dem Kasten hatte, mit Freddy Delinn einlassen konnte?
Meredith wandte sich der Belletristik zu. Aus irgendeinem Grund lieferte sie ein viel prägnanteres Bild vom Sinn des Lebens als das Leben selbst. Sie blätterte in Atwood und Morrison, Kingsolver und Russo und griff dann nach einem Roman von Laura Kasischke, der vor Monaten in Town & Country besprochen worden war. Es gab auch ein Regal mit Klassikern: Sie könnte die einzige Jane Austen mitnehmen, die sie noch nicht gelesen hatte, oder Fahles Feuer von Nabokov. Ihre Bildung wies Lücken auf. Es war unmöglich, alles zu lesen, aber Meredith konnte es versuchen. Jetzt hatte sie genug Zeit dafür. Eine Sekunde lang, an einem sonnigen Samstagvormittag in einem Buchladen auf Nantucket, fand sie ihr Leben schön, jedenfalls in dieser einen Hinsicht.
Dann schaute sie auf. Connie hatte sich das neue Barefoot-Contessa-Kochbuch gekauft und wartete vor dem Regal mit der Reiseliteratur geduldig auf sie. Meredith musste sich entscheiden. Sollte sie auch etwas kaufen? Ja, sie würde die Kasischke und Überredung nehmen. Sie stellte die anderen Bücher wieder dorthin, wo sie hingehörten – Meredith hatte jetzt das Bedürfnis, sich auch in Kleinigkeiten an Regeln zu halten – , und als sie sich zur Kasse drehte, erblickte sie Amy Rivers. Amy hielt ein Exemplar von Nathaniel Philbricks Mayflower in der Hand und fragte die Frau hinter der Theke, ob sie es sich vom Autor signieren lassen könne. Ihre Stimme klang so vertraut, dass Meredith aus Panik zu völliger Reglosigkeit erstarrte. Connie wartete, sie hatten noch einiges vor, doch Meredith konnte sich nicht bewegen. Perücke und neue Brille würden als Verkleidung nicht genügen. Wenn Amy Rivers sie sah, würde sie sie erkennen.
Vielleicht spürte Amy etwas, denn sie wandte sich zu Meredith um. Meredith senkte den Kopf. Amy Rivers hatte in ihrem Apartment an der Park Avenue auf dem Anrufbeantworter eine Nachricht hinterlassen, hysterisch kreischend und ständig das Wort »Scheiß« benutzend. Sie könne es einfach nicht fassen. Freddy sei ein verlogener, krimineller Scheißkerl, ein Scheißtyp, ein Scheißverbrecher. Und dann war sie zu Meredith gekommen. Meredith habe sie beschissen, sei eine Scheißverräterin. Und ich dachte, wir wären Freundinnen! So ein Scheiß! Meredith hätte Amy am liebsten zurückgerufen und daran erinnert, dass sie es gewesen war, die Meredith angefleht hatte, sie bei Freddy unterzubringen. Meredith hatte Freddy Amys Visitenkarte aus Gefälligkeit gegeben, denn sie wusste nichts über Freddys Schneeballsystem. Sie hatte keine Ahnung, dass dieser Gefallen Amy um all ihr Geld bringen würde. Amy hatte selbst gesagt, die Renditen seien »unglaublich«, und was unglaublich schien, war es meistens auch. Amy war intelligent genug, um das zu wissen. Wo war ihr gesunder Menschenverstand geblieben? Wieso war das Ganze Merediths Schuld?
Meredith
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