Inselglück
Filmstar. Meredith beobachtete sie von der Sicherheit des Wohnzimmersofas aus, auf dem sie lag und ein Buch las. Sie wäre zu gern auch nach draußen gegangen, doch sie hätte sich dort nicht entspannen können vor lauter Angst, jemand würde sie fotogafieren. Die Paparazzi in New York waren erbarmungslos gewesen und hatten den Eingang zu Merediths Wohngebäude tagelang belagert. Das hier war hinterhältiger – die versteckte Kamera, das heimliche Auge, das sie ansah und womöglich jeden ihrer Schritte aufzeichnete. Ob jemand sie tatsächlich ständig belauerte, war egal. Meredith fühlte sich befangen, schuldbewusst. Sie gehörte nicht auf eine sonnige Terrasse auf Nantucket.
Sie hätte gern Dev angerufen, um zu erfahren, ob er von Julie Schwarz Neuigkeiten über Leos Fall hatte. War Deacon Rapp enttarnt worden? Hatte man Mrs Misurelli gefunden? Meredith schaltete ihr Handy ein und hielt die Luft an, während sie auf Sprach- oder Textnachrichten wartete. Nichts. Dann wurde ihr klar, dass heute, an einem Sonntag, sogar Dev, so hart er auch arbeiten mochte, nicht in seinem Büro war. Bestimmt war er an einem See angeln oder ging im Central Park spazieren. Selbst die Beamten vom FBI – die namenlosen, gesichtslosen Polizisten – würden diesen Sommertag genießen.
Meredith lieh sich von Connie ein weißes Leinenkleid; es war zu lang und reichte ihr bis über die Knie, aber was sollte sie tun? Sie wünschte, sie wäre ein bisschen gebräunter. Sie schlüpfte zuerst in das Kleid, dann schminkte sie sich, dann setzte sie die Perücke auf. Es kam nicht darauf an, wie sie aussah, ermahnte sie sich. Sie war hier die Nebendarstellerin, das fünfte Rad am Wagen.
Connie wirkte in ihrem blassgrünen Etuikleid aus Seide absolut umwerfend, wie eine Nixe, die Matrosen in den Tod lockte. Sie trug silbern glitzernde Manolos (Meredith hatte einst ein nahezu identisches Paar besessen) und duftete dank Champs-Élysées von Guerlain wie ein Garten in der Provence. Oh, Parfüm! Meredith hätte Connie fast um einen Spritzer gebeten, doch sie hielt sich zurück. Es spielte keine Rolle, wie sie roch.
Es klopfte an die Tür, und dann stand Dan Flynn in der Eingangshalle. Er war sowieso schon ein sehr attraktiver Mann und wirkte heute besonders gepflegt in einer weiße Hose mit Bügelfalte, teuer aussehenden Slippers und einem blau gemusterten Hemd.
Connie kam die Stufen heruntergeschwebt. Von ihrem Platz auf der Treppe sah Meredith, wie Dan die Augen aus den Höhlen traten. Entzückt beobachtete sie, wie er sich am Anblick ihrer reizenden Freundin weidete. Connie und Dan umarmten sich unbeholfen, und Meredith unterdrückte ein Lächeln. Dann bemerkte Dan sie und sagte: »Und hier ist also meine zweite Begleiterin. Habe ich ein Glück!«
Connie und Meredith stiegen in Dans erdbeerroten Jeep. Das Verdeck wurde heruntergefaltet, und Dan rief: »Los geht’s! Haare festhalten!« Das war als Witz über Merediths Perücke gemeint, und – oh Wunder! – Meredith lachte. Sie hielt ihr Haar tatsächlich fest. Der Wind und die Sonne auf ihrem Gesicht waren berauschend. Dan spielte Robert Cray. Zum ersten Mal seit Monaten fühlte Meredith sich entspannt. Oben im Bad hatte sie sich geschworen, heute Abend nicht darüber nachzugrübeln, was die Jungs machten, oder über Freddy. Freddy musste jetzt allein zurechtkommen, und für sie, Meredith, galt dasselbe. Sie war fest entschlossen, spritzig und unterhaltsam zu sein, geistreich und interessant – und nicht die griesgrämige Spaßbremse, die Dan zweifellos erwartete.
»Erst mal trinken wir was!«, sagte Dan. »Champagner!«
Ja, Meredith liebte Champagner, obwohl sie davon leider Kopfschmerzen bekam. Im Galley, einem Restaurant mit Blick auf den Nantucket Sound, bestellten sie welchen und nahmen ihre Gläser mit zum Strand, wo sie sich auf niedrige Korbsessel mit cremeweißen leinenbezogenen Kissen setzten. Sie hätten genauso gut in Südfrankreich sein können. Meredith hörte zu, wie Connie und Dan über Nantucket redeten – darüber, wie es jetzt und wie es früher gewesen war. Dan Flynn war auf der Insel geboren und aufgewachsen, ebenso wie sein Vater und dessen Vater … fünf Generationen. Einst, so erzählte er, habe seine Familie fast ein Zehntel des Grunds und Bodens von Nantucket besessen, dann aber einen Teil davon verkauft und einen anderen dem Naturschutz gewidmet. Dan war Fischer und Muschelsammler und Besitzer von fünfundzwanzig Hummerfallen. Die Gebäudereinigungsfirma
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