Inselglück
öffentlicheren Orten gewesen als im Salon, und nichts ist passiert.«
»Ich weiß«, sagte Meredith. »Aber in den Salon kann ich nicht.« In den Salon zu gehen, war gleichbedeutend damit, in einem Haifischbecken zu schwimmen oder an einem Freitag, dem 13., auf Stelzen ein Minenfeld zu überqueren. Schließlich hatte der Salon Pascal Blanc sie in der New York Times angeprangert – und viel öffentlicher ging es ja wohl nicht. Connie hatte den Artikel doch bestimmt gesehen, oder?
»Falls du es noch nicht gemerkt hast«, sagte Connie. »Ich gehe nicht gern ohne dich irgendwohin.«
»Dann bitte ich dich diesmal um Nachsicht. Den Salon schaffe ich nicht.«
»Du musst gleich wieder aufs Pferd steigen«, empfahl Connie.
»Du hast den Artikel also gelesen?«
»Stimmt. Und weißt du, was ich gedacht habe? Ich dachte: Meredith Martin ist die beste Kundin, die euer Salon je gehabt hat. Du bist derjenige, der was verloren hat, Pascal Blanc. «
»Nein, das bin ich, wirklich. Ich bin so grau wie Whistlers Mutter, aber die im Salon haben demonstriert, wie gefestigt sie moralisch sind, indem sie mich nicht mehr bedienen, um ihre anderen Kunden zu schützen, die mein Anblick womöglich stört.«
»Würdest du dir denn nicht gern die Haare machen lassen?«
Gott, die Antwort auf diese Frage war natürlich ja. Seit Meredith mit vierzig angefangen hatte, grau zu werden, hatte sie alle sechs Wochen die ursprüngliche Farbe ihrer Haare – ein weiches Babyblond – wiederherstellen lassen. Das war, wusste sie, unaussprechlich eitel von ihr – obwohl es mehr damit zu tun hatte, wie sie sich innerlich fühlte, besonders jetzt. Die wahre Meredith Martin war blond. Sie war eine hochintelligente, begabte Achtzehnjährige mit unglaublich strahlender Zukunft.
»Ich kann mir nicht die Haare machen lassen«, sagte sie jetzt. »Wenn ich mitkomme, muss ich meine Perücke tragen.«
»Dann komm mit und trag deine Perücke. Du kannst dich maniküren und pediküren lassen. Ich zahle.«
»Es geht nicht ums Geld, Con.« Dabei ging es doch ums Geld, neben allem anderen. In Palm Beach hatte Meredith sich jede Woche für hundertfünfundzwanzig Dollar eine Maniküre und eine Pediküre gegönnt und noch fünfzig Dollar Trinkgeld gegeben. Dazu kamen hundert Dollar wöchentlich für Massage und alle sechs Wochen zweihundertfünfzig Dollar für ihre Haare. So viel Geld, und sie hatte nicht mit der Wimper gezuckt. Jetzt schämte sie sich dafür.
»Es geht nicht ums Geld«, sagte Connie, »weil ich dich einlade. Maniküre und Pediküre. Bitte! Es macht keinen Spaß, allein in den Salon zu gehen.«
»Ich kann nicht«, sagte Meredith. »Frauen, gegen die ermittelt wird, gehen nicht zur Kosmetikerin. Frauen, gegen deren Kinder ermittelt wird, gehen nicht zur Kosmetikerin. Frauen, deren Männer in einem Bundesgefängnis hundertfünfzig Jahre absitzen, gehen nicht zur Kosmetikerin.«
»Ich verstehe ja, dass du es so siehst. Aber es ist doch keine große Sache. Nur eine Maniküre und Pediküre. Damit du dich hübsch fühlst. Damit du abgelenkt bist. Ich kann auch allein gehen, aber ich möchte wirklich, dass du mitkommst. Und keiner wird dir was tun, das verspreche ich.«
Connie hatte Termine für den Freitagnachmittag vereinbart. Auf dem Weg dorthin befürchtete Meredith zu hyperventilieren. Sie atmete tief ein und aus, eine Methode, die sich bei ihren durch die Freddy-Geschichte ausgelösten Ängsten besser bewährte als bei den Geburten ihrer beiden Söhne. Connie beäugte sie.
»Willst du austeigen?«, fragte sie.
»Nein«, sagte Meredith. »Wir fahren.« Die Sache war zu einer Art Hürde geworden, die sie einfach überspringen musste. Sie war eine Prüfung. Und, so rief Meredith sich ins Gedächtnis, sie hatte sich nie vor einer Prüfung gedrückt.
Der Salon RJ Miller wirkte einladend und unprätentiös. Leise Jazzmusik erklang, und es duftete köstlich nach Friseurprodukten, Aceton und Cappuccino. Es war der reinste Bienenstock, doch das konnte sich, wurde Meredith schnell klar, durchaus als günstig für sie erweisen. Die Frauen, die hier saßen, waren alle glamourös – ebenso glamourös wie die in Palm Beach oder Southampton. Sie waren sonnengebräunt und geliftet; sie trugen teure Röcke und Sandalen. Der Typ war ihr vertraut – es war genau Merediths eigener Typ – , aber sie erkannte keine Menschenseele. Und keiner schenkte Meredith mit ihrer hässlichen Perücke und der langweiligen Brille einen zweiten Blick. Sie war so
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