Inselglück
Pferderennen zuschaute. Gabriella steckte Merediths Füße in lächerlich dünne Schaumgummiflipflops und applizierte sanft die Zehentrenner aus steifer Pappe. Dann lackierte sie Merediths Nägel mit zwei Schichten Paris um Mitternacht und einer glänzenden Abschlussschicht. Fertig!
Meredith sprang regelrecht von ihrem Hocker. »Sie sind in Eile?«, fragte Gabriella.
Meredith warf einen Blick auf Connie, deren Augen halb geschlossen waren wie die eines Teenagers, der zu viel Dope geraucht hat.
»Nein«, sagte sie schuldbewusst.
Gabriella geleitete Meredith, die sie wieder »Marion« nannte – Meredith hätte fast nicht reagiert – zum Maniküretisch. Hier war es schwieriger. Es gab keine Zeitschriften, hinter denen sie sich verstecken konnte; es war eine Sache von Angesicht zu Angesicht. Gabriella begann, sich mit Merediths Händen zu beschäftigen, und versuchte sich im Smalltalk.
»Ihr Ring gefällt mir«, sagte sie und berührte Merediths Diamanten. Freddy war bei ihrer Heirat bitterarm gewesen, zu arm, um einen Ring zu kaufen, deshalb hatte er sich über Annabeth Martins riesigen Diamanten gefreut. In jenen frühen Jahren hatte Meredith manchmal mitbekommen, dass Freddy Leuten erzählte, er habe ihr den Ring geschenkt, oder sie zumindest in dem Glauben ließ.
»Vielen Dank«, sagte sie. »Er hat meiner Großmutter gehört.«
»Sind Sie verheiratet?«, fragte Gabriella.
»Ja«, sagte Meredith. »Nein. Also ja, aber wir leben getrennt.«
Gabriella nahm diese Nachricht ungerührt auf. Sie schaute nicht einmal hoch. Vielleicht verstand sie das Wort »getrennt« nicht. Mit Sicherheit verstand sie nicht, welche Art Trennung Meredith meinte.
»Also wohnen Sie hier, oder sind Sie nur zu Besuch?«
»Nur zu Besuch«, sagte Meredith.
»Von wo? Wo leben Sie?«
Meredith wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie zögerte. »In New York.«
Gabriella wurde munter. »Ja? New York City? Wir haben viele Kundinnen aus New York City.«
»Nicht in der City«, entgegnete Meredith rasch. »Auf dem Land. In einer Kleinstadt.«
Gabriella nickte. Sie schob Merediths Nagelhäute zurück. Seit den Ereignissen um Freddy hatte Meredith ihre Kindheitsangewohnheit, an den Nägeln zu knabbern, wiederaufgenommen. Sie erinnerte sich, wie ihre Großmutter ihre Fingerspitzen in Cayennepfeffer getaucht hatte, damit sie es unterließ. Heutzutage würde das sicher als Kindesmisshandlung gelten.
»In einer Kleinstadt?«, fragte Gabriella. »In welcher?«
Meredith hatte keine Lust zu antworten. Das konnte Gabriella doch egal sein. Das ländliche New York besaß nichts von dem Sexappeal, den die City hatte, sondern war praktisch ein anderer Kontinent. Aber die Frage war ernst gemeint gewesen und erforderte irgendeine Reaktion.
Wieder zögerte Meredith. »In Utica«, sagte sie dann. In dieser Stadt war Freddy aufgewachsen; allerdings war seine Familie zu arm gewesen, um im Ort selbst zu leben, sondern hatte irgendwo in der Pampa außerhalb von Utica gewohnt.
»Wirklich?« Bei Gabriella kam das als wierklich heraus. Ihre Stimme war so laut, dass sie alle andere Konversation in diesem Teil des Salons vorübergehend zum Verstummen brachte. »Mein Freund, der kommt auch aus Utica. Vielleicht kennen Sie ihn? Er heißt Ethan Miller.« Sie betonte den Namen so nachdrücklich, als hätte sie lange geübt, ihn korrekt auszusprechen.
»Nein, tut mir leid«, sagte Meredith. »Ich kenne keinen Ethan Miller.«
»Aber auch aus Utica, oder?«, hakte Gabriella nach.
»Ja«, bestätigte Meredith. Gabriella verwandelte ihre schartigen, splittrigen Krallen in glatte Halbmonde. Ihre Hände hatten das bitter nötig, doch sie musste das Gespräch so wenden, dass Gabriella über sich selbst redete, sonst würde Meredith in Schwierigkeiten geraten.
Gabriella beugte sich vor und senkte die Stimme, das perfekte Klischee der tratschenden Kosmetikerin. »Sie wissen natürlich, wer früher mal in Utica lebte?«
Nein, dachte Meredith. Nein!
»Wer denn?«, flüsterte sie.
»Freddy Delinn.«
Meredith merkte, wie ihre Nase kribbelte, und befürchtete, gleich niesen zu müssen. Was für ein verdammt blöder Fehler von ihr, »Utica« zu sagen, statt sich einen Ortsnamen auszudenken, Pluto zum Beispiel. Warum hatte sie nicht »Pluto« gesagt?
»Sie wissen doch, wen ich meine, Freddy Delinn?«, fragte Gabriella. »Monsterpsychopath, der allen Geld gestohlen hat?«
Meredith nickte. Ein Monsterpsychopath, der sich jeden Abend um halb zehn neben sie ins Bett
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