Inselkönig
Sohn und Bente Frederiksen,
»ich hätte es euch gern erspart. Telse und ich haben ein Verhältnis
miteinander. Seit drei Jahren.«
Frau Nommensen schüttelte in aller Ruhe den Kopf. »Das
ist nicht wahr, Ingwer. Da interpretierst du etwas hinein, was nicht stimmt.«
»Wir haben doch miteinander geschlafen!«
Telse Nommensen sah die jungen Leute an. Für einen
Moment schien sie eine Spur verlegen zu sein. Dann gab sie sich einen Ruck.
»Das bedeutet doch nicht, dass wir ein Verhältnis miteinander haben. Thies war
schließlich auch mit der Hälfte der Frauen auf Föhr intim. Und niemand hätte
ihm unterstellt, er habe lauter Verhältnisse gehabt.«
»Ich verstehe das nicht«, wiederholte Ingwer
Frederiksen mehrfach, während die junge Frau ihre Mutter entgeistert ansah.
»Mama«, sagte sie in vorwurfsvollem Ton, als würden
sich vor ihr Abgründe auftun.
»Für mich ist es eine weitere ungeklärte Frage, warum
Sie, Frau Nommensen, Ihren Mann bereits zur Mittagszeit als vermisst gemeldet
haben, obwohl es dafür keinen Anlass gab. Es ist oft vorgekommen, dass er den
ganzen Tag unterwegs war, Termine wahrgenommen oder auch manchmal ein amouröses
Abenteuer eingeflochten hat. Ich vermute, dass Sie von Ingwer Frederiksens
Vorhaben, das ›Problem Thies Nommensen‹ aus der Welt zu schaffen, wussten. Es
war ein lang vorbereiteter gemeinsamer Plan, und Ingwer Frederiksen hat sich
bereit erklärt, ihn in die Tat umzusetzen. Wenn man so etwas vorausplant, ist
man nervös und macht Fehler. Bei Ihnen war es die Ungeduld. Sie konnten nicht stillsitzen
und bis zum nächsten Tag warten. Sie haben geglaubt, man würde Sie eher
verdächtigen, wenn Sie nach außen keine Sorge um Ihren Mann zeigen. Und wenn
die Umsetzung der Tat aus irgendeinem Grund schiefgelaufen wäre, hätten Sie
immer noch die glückliche Frau spielen können, die ihren vermissten Mann
wohlbehalten wieder in die Arme geschlossen hätte.«
»Was erlauben Sie sich?« Aus Telse Nommensens Stimme
klang die nackte Empörung. »Ich bin entrüstet. Sie vergessen, dass ich meinen
Ehemann durch ein ruchloses Verbrechen verloren habe. Ich weiß nicht, was
Frederiksen dazu getrieben hat. Ich bin erschüttert.« Sie schaffte es, ein paar
Tränen hervorzuquetschen. Prompt nahm ihre Tochter sie in den Arm und begann
aus Solidarität mitzuweinen.
»Aber Mama, das ist alles nicht wahr«, flüsterte Bente
Frederiksen.
»Ich Trottel, ich Rindvieh«, stöhnte Ingwer
Frederiksen auf. »Ich habe diesem verlogenen Subjekt geglaubt.«
»Den perfekten Mord gibt es nicht«, sagte Christoph.
»Es ist unnatürlich, dass die Hinterbliebenen nicht nach dem Stand der
Ermittlungen fragen. Grundsätzlich ist es das erste Interesse zu erfahren, ob
die Polizei Fortschritte gemacht hat und die Entlarvung des Mörders kurz
bevorsteht. Niemand aus Ihren Reihen hat jemals eine solche Frage an uns gerichtet.
Das ist nicht verwunderlich. Sie wussten um die Hintergründe.«
»Ich nicht und meine Frau auch nicht«, sagte der junge
Frederiksen energisch.
»Sie haben einen weiteren Fehler gemacht, Frau
Nommensen«, sagte Christoph. »Es wäre naheliegend gewesen, dass Sie versucht
hätten, Ihren Mann auf dessen Handy anzurufen, bevor Sie ihn als vermisst
gemeldet haben. Wir haben jedoch keinen einzigen Anrufversuch feststellen
können. Sie wussten ja, dass es vergeblich gewesen wäre.«
Telse Nommensen kniff die Augen zu einem schmalen
Spalt zusammen und sah Christoph wutentbrannt an.
»Sie haben geglaubt, dass wir das nicht nachprüfen
können, wenn wir das Handy nicht finden. Ihnen war nicht bekannt, dass die
Netzbetreiber seit geraumer Zeit alle Verbindungsdaten speichern müssen.«
»Verdammter Schnüffelstaat«, fluchte Telse Nommensen
dazwischen.
Große Jäger atmete vernehmlich auf. »Das hat lange
gedauert, bis eine so unterkühlte Persönlichkeit wie Sie auf Betriebstemperatur
kommt.« Dann fischte er sein Handy hervor und tippte eine Nummer ein. Kurz
darauf erklang irgendwo im Haus ein Klingeln.
Der Oberkommissar stand auf. »Dann wollen wir einmal
suchen gehen«, sagte er.
Telse Nommensen war ebenfalls aufgesprungen. »Das
machen Sie nicht«, keifte sie.
Behutsam schob Große Jäger die Frau zur Seite. »Das
ist ein weiterer grober Fehler«, erklärte er. »Sie hätten am Sonntagabend nicht
Rosamunde Pilcher, sondern Tatort sehen müssen. Dann hätten Sie diesen uralten
Trick gekannt, den ich jetzt angewendet habe.«
Telse Nommensen leistete keinen Widerstand, als
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