Inselkönig
hat noch viele andere Menschen
gedemütigt. Es war nicht seine erste Vergewaltigung. Es gibt noch eine zweite,
die ebenso still abgewickelt wurde. Nach dem gleichen Muster.«
»Und die hat sich in der Familie abgespielt?«, fragte
Christoph. Er war überrascht, als ihn Telse Nommensen mit großen Augen ansah.
Auch Bengt Frederiksen ließ seine Hände sinken und sah erst Christoph, dann
seinen Vater an. Schließlich rückte er ein Stück von seiner Frau ab.
»Bente!«, sagte er mit fremder Stimme, in der alle
Vorwürfe dieser Welt lagen.
Nommensens Tochter streckte ihrem Mann ihre Arme
entgegen. »Nimm mich in den Arm«, flehte sie, aber ihr Mann rückte noch ein
Stück weiter weg.
»Das stimmt nicht«, wisperte Telse Nommensen tonlos.
»Mir war klar, dass Sie diese Spur verfolgen«, fuhr
der alte Frederiksen fort, »als Sie nach der DNA fragten. Hätte mein Sohn nur einen Funken davon gewusst, hätte er es
verweigert. Und auch sie«, dabei zeigte er auf Telse Nommensen, »hatte keinen
blassen Schimmer. Sonst wäre es nie zur Probe gekommen.«
Christoph kommentierte Frederiksens Aussage nicht. Sie
deckte sich aber mit dem Laborergebnis.
»Was für ein Mensch muss man sein, wenn man vom
eigenen Enkel als dem Idioten spricht und weiß, dass man möglicherweise selbst
daran schuld ist, weil …« Frederiksen führte den Satz nicht zu Ende.
»Das sind weit hergeholte Vermutungen«, sagte
Christoph ausweichend. »Nirgendwo ist bewiesen, dass es einen Zusammenhang
zwischen Inzest und Downsyndrom gibt.«
»Ist doch egal«, erwiderte Frederiksen und sah seinen
Sohn an.
»Jedenfalls hat Ute Hoogdaalens Vergewaltigung auch
mein Leben zerstört.« Frederiksen fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Die
zweite Vergewaltigung war zu viel für Wiebke, für deine Mutter.« Die letzten
Worte waren an seinen Sohn gerichtet. »Sie konnte das Leben auf der Insel nicht
mehr ertragen und hat Föhr den Rücken gekehrt. Alle Versuche, sie zu einer
Umkehr zu bewegen, waren vergeblich. Und weil ich Wiebke wirklich geliebt habe,
bin ich schließlich daran zerbrochen.«
»Ich glaube Ihnen«, sagte Christoph und musterte den
jungen Frederiksen, der seinen Vater ungläubig anstarrte.
»Warum hast du nie etwas gesagt?«, fragte er mit
erstickter Stimme.
»Hast du dich nie gewundert, warum Thies dich so
großzügig gefördert hat? Dir das Studium finanzierte? Das waren Schuldgefühle.
Trotzdem hat es Thies nicht davon abgehalten, dich öffentlich einen degenerierten
Schlappschwanz zu nennen, der zudem die Alleinschuld daran trägt, dass sein
Sohn ein ›Idiot‹ ist. Und du? Du hast alles ertragen, weil du nur danach
getrachtet hast, Nommensens geschäftliches Erbe anzutreten, in Fußstapfen zu
wandeln, die dir viel zu groß sind.«
Der junge Frederiksen war aufgesprungen, hatte seinen
Vater am Revers gepackt und von der Couch hochgezogen.
»Was bist du nur für ein Mensch. Du siehst dir alles
mit an. Du begegnest uns täglich, ohne ein Wort zusagen.« Dann spie er Ingwer
Frederiksen mitten ins Gesicht.
»Du hast keine Vorstellungen davon, mein Junge, was
ich alles erlitten habe, nur weil ich deine Mutter liebte.«
»Du bist nicht mehr mein Vater«, schrie der junge
Frederiksen und stieß den Senior zurück auf die Couch.
»Als sich zarte Bande zu Telse abzeichneten, habe ich
das erste Mal wieder einen Schimmer Hoffnung gesehen. Und dafür war ich sogar
bereit zu morden.«
Sie wurden durch Bente Frederiksen abgelenkt, die
aufstöhnte und dann den Kopf zur Seite fallen ließ.
»Du bist kein Mensch. Ich verfluche dich bis an das
Ende deiner Tage«, schrie Bengt Frederiksen seinem Vater ins Gesicht.
»Du armer Wicht«, sagte der alte Frederiksen leise.
»Du hast nichts mitbekommen, weil du immer nur voller Egoismus deine eigenen
Ziele verfolgt hast. Hast du dir jemals die Frage gestellt, warum deine Frau
unter Depressionen leidet?«
»Nennst du ihr ständiges Jammern Depressionen?«,
fragte der junge Frederiksen höhnisch zurück. Er machte keine Anstalten, sich
um seine Frau zu kümmern, um die sich Telse Nommensen bemühte.
Der Atem der jungen Frau ging stoßweise. Rasselnd
entfuhr die Luft den Bronchien. Ihre Augenlider flatterten. Als sie sich ein
wenig beruhigt hatte, setzte sich Telse Nommensen auf ihren Platz zurück.
»Das habe ich nicht gewusst«, sagte sie, und die
Erschütterung war ihr anzumerken. »Ich hatte keine Ahnung, dass Thies seine
eigene Tochter vergewaltigt hat.«
»Mama!« Es war ein Aufschrei des
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