Inselkönig
kalte Füße und spürte die angenehme Wärme der Fußbodenheizung.
Große Jäger folgte seinem Beispiel. Mit Belustigung
sah Christoph die beiden Löcher in den dicken Wollsocken, aus denen die dunklen
Ränder der Nägel der großen Zehen hervorlugten.
Sie folgten der jungen Frau, die mit gesenktem Kopf
voranging.
Der Raum war ebenso lichtdurchflutet wie die Diele.
Der Erker bot im Sommer sicher einen schönen Blick in den Garten. Jetzt konnte
man durch die großen Scheiben keine zwei Meter weit sehen. Vom offenen Kamin
ging eine wohlige Wärme aus. Knisternd leckten die Flammenzungen am trockenen
Holz. Christoph vermeinte zu erkennen, dass Eiche verbrannt wurde. Diesen Luxus
konnte sich nicht jeder erlauben. Auf dem im gleichen Muster wie der Flur
gefliesten Boden standen moderne Möbel, die aber nicht kalt wirkten. Eine
wuchtige Sitzgruppe aus weißem Leder, die mitten im Raum stand, beherrschte das
Bild.
Die Beine unter den Po angezogen, hockte eine blonde
Frau in der Ecke des Dreisitzers. Bis zur Taille war sie in eine flauschige
Wolldecke gehüllt. Die dunklen Augen lagen tief in den Höhlen verborgen. Sie
war ebenso blass wie ihre Tochter.
Mit ihrer schmalen, feingliedrigen Hand zeigte sie auf
zwei gegenüberliegende Sessel. »Nehmen Sie bitte Platz«, sagte sie mit müder
Stimme. Dann griff sie zu einem Sherryglas und nippte daran. »Ich habe es
mitgehört. Sie sind von der Polizei.«
Christoph stellte sich und Große Jäger vor. »Wir
möchten Ihnen unsere Anteil…«
Telse Nommensen winkte ab. »Danke. Sparen Sie es sich.
Mich haben genug Leute angerufen oder angesprochen, die mir ihr Beileid
bekunden wollten. Das ist alles geheuchelt und gelogen. Niemand bedauert den
Tod von Thies wirklich.«
»Aber Mama«, warf die Tochter schüchtern ein, doch
auch Bente wurde mit einer Handbewegung der Mutter das Wort abgeschnitten.
Telse Nommensen zog unter ihrem Bein ein Taschentuch
hervor, tupfte sich vorsichtig die Augen aus und schnäuzte dann kräftig in das
Tuch. »Es gab nur wenige, die gefragt haben, wie es mir geht. Das waren die
Ehrlichen.«
Es klang nicht nach Selbstmitleid, was Christoph dort
vernahm. Die Frau machte äußerlich einen sehr beherrschten Eindruck, obwohl sie
es trotz aller Bemühungen nicht leugnen konnte, dass ihr der Tod des Ehemanns
naheging.
»Wie lange waren Sie verheiratet?«
»Sechsunddreißig Jahre. Da erlebt man viel miteinander.
Gute und schlechte Zeiten. Von den schwierigen ersten Jahren, in denen manchmal
der Kühlschrank leer war, bis heute, wo uns viele Neider begegnen.« Sie ließ
ihren ausgestreckten Arm im Halbkreis weisen, dass sie damit das sichtbare
materielle Wohlergehen meinte. »Das alles hat Thies erarbeitet. Mit viel
Energie, Kraft und Mühe.«
… und Durchsetzungsvermögen, bei dem viele andere auf
der Strecke geblieben sind, ergänzte Christoph im Stillen. Laut sagte er: »Es
gibt eine Reihe von Mitbürgern, die Ihrem Mann nicht wohlgesonnen waren. Könnte
darin ein Motiv für die Tat liegen?«
Telse Nommensen schenkte Christoph einen langen Blick.
»Ich sagte schon, es gibt viele Neider. Jeder Versager sucht die Schuld für
sein Scheitern bei einem anderen. Und Thies war der ideale Sündenbock.«
»Wer wird jetzt die Führung der Geschäfte übernehmen?«
Die Mutter griff zum Sherryglas und nippte erneut
daran. Auf Christoph wirkte es wie der Versuch, Zeit zu gewinnen. Dann senkte
Telse Nommensen den Blick und stierte auf den Teppichboden. Es schien eine
endlose Zeit zu verstreichen, bis Bente ihre Mutter leise daran erinnerte, dass
Christoph eine Frage gestellt hatte.
»Nachfolger?«, sagte die Frau gedankenverloren, bis
sie sich einen Ruck gab und Christoph ansah. »Es gibt niemanden, der sich
auskennt, geschweige über Thies’ Fähigkeiten verfügt. Es wird schwierig sein,
dort einzusteigen, wo er herausgerissen wurde.«
»Hat er niemanden in sein Vertrauen gezogen?«
Während Bente Frederiksen unmerklich den Kopf
schüttelte, wurde sie von ihrer Mutter mit einem bösen Blick abgestraft. »Darum
geht es nicht. Es gibt niemanden, der Thies ersetzen könnte. Seine Schuhe
passen keinem.«
Bente Frederiksen räusperte sich, bevor sie vorsichtig
einwarf: »Bengt könnte sich das einmal ansehen. Schließlich ist er Papa zur
Hand gegangen.«
»Wer ist Bengt?«, fragte Christoph.
»Mein Mann. Er ist der Assistent meines Vaters.
Gewesen«, schob sie fast tonlos hinterher.
»Hat er Vollmachten?«
»Mein Mann hat alles selbst geregelt. Und damit
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