Inselkönig
nicht zutreffen«, erwiderte
Thomsen.
Große Jäger sah aus dem Fenster. »Wenn wir hier
warten, bis der verdammte Schnee vorbei ist, sind wir beide Pensionäre«, wandte
er sich an Christoph. »Ich denke, wir sollten der lustigen Witwe einen Besuch
abstatten, bevor die wegen Genusses des Freudenchampagners nicht mehr
aussagefähig ist.«
Wer auf Föhr etwas auf sich hielt, bemühte sich um ein
Grundstück auf dem schmalen Landstreifen zwischen Golfplatz und Strand.
Greveling hieß das Geflecht aus Sackgassen, das den Anwohnern Unruhe von
durchfahrenden Neugierigen ersparte. In der hinteren Ecke befand sich das
Anwesen der Familie Nommensen. Das weiße Haus mit dem Strohdach war weder
größer noch repräsentativer als die angrenzenden Gebäude. Wenn man sich jedoch
Zeit zum Betrachten nahm, bestach es durch außergewöhnliche Details. Unter dem
überstehenden Walmdach mit den an Pfauenaugen erinnernden, sanft geschwungenen
Gauben waren sorgfältig arrangierte Accessoires angebracht: eine künstlerisch
gestaltete Plastik, die einen Fischreiher darstellen sollte, ein Joch, das im
Sommer sicher bepflanzt wurde, Haken an der Traufe, an denen womöglich Blumenampeln
hingen … Heute war alles unter einer dichten Schneedecke verschwunden.
Christoph war sich sicher, dass im Sommer ein englisch gepflegter Rasen das
Haus umgab. Sie hatten am Friesenwall geparkt. Auf dem Weg zur Haustür bemerkte
Christoph, wie sie aus einem der Sprossenfenster beobachtet wurden. Trotzdem
dauerte es eine Weile, bis die schwere Holztür im adaptieren Friesenstil
geöffnet wurde.
Die Frau, die ihnen gegenüberstand, mochte Anfang
dreißig sein. Sie war schlank und wirkte trotz ihres Alters fast ein wenig
verhärmt, was durch ihre schlichte Kleidung noch unterstrichen wurde. Das
blonde Haar war zu einem Knoten am Hinterkopf zusammengebunden. Auf den ersten
Blick schien die Haut fast durchsichtig. Aus müden Augen musterte sie die
beiden Beamten.
»Polizei«, sagte sie. Es war eine Feststellung, keine
Frage. »Wir haben Sie erwartet. Kommen Sie bitte rein. Meine Mutter ist im
Wohnzimmer.« Sie trat einen Schritt zurück und gab den Zugang frei.
Christoph erinnerte sich an Ute Hoogdaalens Antwort
auf die Frage, ob es einen Nachfolger für Nommensen gab. Sie hatte spontan
geantwortet, dass Bente, Nommensens Tochter, die geschäftlichen Aktivitäten des
Toten nicht übernehmen würde. Als Christoph Nommensens Tochter ansah, schlug
diese irritiert die Augen nieder und wich seinem Blick aus. Sie sprach leise
und erweckte den Eindruck eines schüchternen Schulmädchens.
»Bitte hier entlang«, sagte sie und zeigte auf die
entgegengesetzte Seite der Diele.
Die rostbraun lasierten Fliesen bildeten einen
angenehmen Kontrast zum sonst dominierenden Weiß. Die Wände waren mit
Glasfasertapeten beklebt, die ins Obergeschoss führende Treppe in der sonst bis
zur Dachschräge offenen Diele war ebenfalls weiß. An einer langen Kette hing
ein schwerer Lüster herab. Die Bilder an den Wänden waren sicher keine
Massenproduktionen, obwohl sie Christoph in ihrer Abstraktheit nicht mit dem
wohnlichen Charakter des Hauses zu harmonieren schienen. Sie störten auch die
zahlreich in der Diele verteilten Accessoires aus Messing.
Christoph gewahrte mehrere Feudel, Wischtücher würde
man in südlicheren Landesteilen sagen, auf denen die Winterstiefel der
Hausbewohner abgestellt waren. Sicher sah es die Dame des Hauses nicht gern,
wenn mit dem schmutzigen Schuhwerk der große weiße Berber betreten würde, der
schräg in der Mitte der Diele lag.
»Sollen wir?«, fragte Christoph und zeigte auf die
Ansammlung.
»Das wäre nett«, erwiderte die Tochter.
»Frau, äh …«, fragte Christoph mit Blick auf den
Ehering der jungen Frau.
»Bente Frederiksen.«
Christoph war ebenso verblüfft wie Große Jäger, wie er
mit einem schnellen Seitenblick gewahrte.
»Ist das ein Zufall?«, schob der Oberkommissar ein.
»Ich meine – der Name Frederiksen.«
Sie sah Große Jäger verständnislos an, um sogleich den
Kopf wieder zu senken. »Was meinen Sie damit?«, fragte sie leise.
»Sind Sie verwandt mit Ingwer Frederiksen?«
Sie nickte kaum wahrnehmbar. »Das ist mein
Schwiegervater.« Dann zeigte sie erneut in Richtung Wohnzimmer. »Meine Mutter
ist dort.«
Christoph zog seine Stiefel aus und stellte sie auf
einen freien Zipfel eines Feudels. Dort, wo er gestanden hatte, hatte sich eine
schmutzige Wasserlache gebildet. Er hatte trotz der winterlichen
Schuhbekleidung
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