Inselkönig
Kurpromenade Wyks, an dem sich Kurkliniken angesiedelt hatten, und führte
am Park an der Mühle, der mit seinen beleuchteten Monden besonders bei
Dunkelheit zu beeindrucken verstand, zur dänischen Schule, wo auf
holzgeschnitzten Tafeln mit dem farbenfrohen aufgemalten Danebrog verkündet
wurde, dass sich hier die »Vyk Danske Skole« und die »Legestue« befanden.
Im Sommer mochte die mit Bäumen alleenartig gestaltete
Straße mit den hübschen Häusern und gepflegten Gärten ein Blickfang sein, jetzt
hatte der Schnee alles unter einer einheitlichen weißen Decke begraben.
Große Jäger hatte recht gehabt. Der Wind war
abgeflaut, und auch der Schneefall hatte nachgelassen. Es war nunmehr ein leichtes
Schneegrieseln, das aus der grauen Wolkendecke kam. Eigentlich hätte schon die lange Dämmerung einbrechen sollen, aber das Weiß gaukelte eine für die
Tageszeit zu grelle Helligkeit vor.
Die Immobilienmakler hatten ihr Büro in einem
schmucken Haus eingerichtet, das Christoph auf den Beginn des vorigen
Jahrhunderts schätzte. Hinter einer hohen Hecke verbarg sich ein in zartem
Ocker gehaltenes Gebäude mit einem Turm, der im oberen Bereich durch ein
angedeutetes Fachwerk verziert wurde, einem Erker und vielen kleinen, liebevoll
gestalteten Extras in der Fassade. Leider, so dachte Christoph, war heutigen
Architekten die Fähigkeit, bei der Gestaltung auch das Auge zu erfreuen, häufig
abhandengekommen. Oder waren es nur Zeit- und Geldmangel, die zur verbreiteten
Nüchternheit im Städtebau führten?
Das Messingschild »Innig & Raub GmbH – Immobilien«
war halb zugeschneit.
Sie mussten eine Weile warten, bis ihnen ein
mittelgroßer Mann mit aschblondem Haar und einem glitzernden Stein im linken
Ohrläppchen öffnete. Unter dem Burberrypullover mit dem typischen Rautenmuster
verbarg sich ein offener Hemdkragen.
»Ja, bitte?«, fragte der Mann mit angenehmer Stimme,
die aber verriet, dass er kein Einheimischer war. Christoph vermutete eine
rheinische Herkunft.
»Wir sind von der Polizei. Mein Name ist Johannes. Das
ist mein Kollege Große Jäger«, stellte Christoph den Oberkommissar und sich
vor. »Wir würden mit Ihnen gern über Thies Nommensen sprechen.«
»Schlimm«, sagte der Mann. »Darf ich Sie hineinbitten?
Ich gehe voraus, ja?« Obwohl es wie eine Frage klang, war es eine Feststellung.
Vom großzügigen Aufgang mit den robusten Holzstufen
und dem fein ziselierten Treppengeländer war nur ein Ausschnitt zu sehen, da
der Mann sie in einen Besprechungsraum nahe dem Windfang führte.
»Ich hole eben meinen Partner«, sagte er. »Nehmen Sie
inzwischen Platz.«
Christoph setzte sich an das Kopfende des wuchtigen
Holztisches, um den sich acht lederbezogene Stühle gruppierten. Große Jäger
nahm ihm gegenüber Platz und betrachtete die Wände, an denen Bilder von
Immobilienobjekten hingen. Die Senkrechtlamellen harmonierten hervorragend mit
den gelungenen, abgesetzten Stuckornamenten an der hohen Decke.
Nach wenigen Minuten kam der Mann in Begleitung eines
anderen zurück. »Das ist Matthias Raub«, stellte er seinen Partner vor, dessen
Gesicht ein sorgsam gepflegter Dreitagebart zierte, der genauso kurz gestutzt
war wie das blonde Haupthaar. Beide Männer schienen zudem dasselbe Sonnenstudio
zu besuchen.
»Dann sind Sie Volker Innig?«, fragte Christoph den
Mann, der sie empfangen hatte.
»Oh, Entschuldigung.« Innig verbeugte sich leicht.
Während Raub mit zwei Stühlen Abstand Platz genommen hatte, stützte sich Innig
auf der Tischplatte ab. »Darf ich Ihnen etwas anbieten? Einen Cappuccino?
Latte? Oder etwas Handfesteres?«
Christoph kam Große Jäger zuvor und erklärte, dass die
beiden Beamten sich über einen Cappuccino freuen würden.
Während Volker Innig den Raum verließ, merkte Matthias
Raub an: »Das war eine unangenehme Überraschung. Wer rechnet mit so was? Und
das hier auf Föhr.« Er schüttelte den Kopf. »Nein. Das glaubt man nicht. Wir
können es immer noch nicht fassen, mein Partner und ich. Haben Sie schon
verwertbare Erkenntnisse?«
»Es war ein aufschlussreicher Tag«, erklärte Große
Jäger ausweichend. »Kann es sein, dass Sie aus Westfalen stammen?«
Raub schmunzelte. »Sie auch. Große Jäger. Das ist
typisch westfälisch. Ja, Sie haben Recht. Ich komme aus Sendenhorst, habe aber
viele Jahre in Münster gelebt. Im Kuhviertel, wenn es Ihnen etwas sagt.«
»Sicher. Das Szeneviertel mit den angesagten
Studentenkneipen.«
Christoph folgte schweigend dem Schwelgen der
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