Inselkönig
ist dein Job, das rauszukriegen«, griente er den
Oberkommissar an.
»Hoogdaalen, wenn du nicht augenblicklich hinters Steuer
kommst, kannst du ab morgen den Strand fegen. Ist das klar?«, drohte Thönnissen
aus dem Hintergrund.
Der Mann tippte Große Jäger gegen die Brust. »Hast ja
gehört. Dazu hab ich aber keinen Bock. Also denn, Meister.« Ohne sich noch
einmal umzusehen, verließ er den Raum.
»Sind die alle verrückt?«, fragte Große Jäger
hinterher.
Christoph lächelte ihn an. »Aus deren Sicht sind wir
die einzigen Dummen.«
»Das glaube ich auch. Es scheint so, als wäre der
verrückt, der Nommensens Mörder zur Verantwortung ziehen möchte.« Er beugte
sich zu Christoph hinüber. »Wir sollten mit der Frau sprechen.«
Gemeinsam verließen sie das große Büro, ohne dass
Frederiksen oder Thönnissen Anstalten machten, sie daran zu hindern oder ihnen
zu folgen.
Das Gebäude schien verlassen zu sein. Sie sahen in
zwei weitere, etwas kleinere Büroräume, ein Besprechungszimmer sowie einen
Aufenthaltsraum, an dessen Stirnwand eine Küchenzeile aufgebaut war.
»Die Frau kann doch nicht verschwunden sein«, murmelte
Große Jäger und blickte in die Richtung, die Christoph anzeigte, nachdem sie an
der Garderobe einen roten Damen-Skianorak gesichtet hatten. »Du meinst, sie ist
auf der Toilette?«, fragte der Oberkommissar, nachdem er Christophs Fingerzeig
gefolgt war. Er klopfte vorsichtig gegen die Tür mit der stilisierten
Frauenfigur auf dem Holz. Nichts rührte sich. Große Jäger versuchte es erneut.
Es war immer noch nichts zu hören. Dann klopfte er kräftiger gegen die Tür. Als
sie immer noch keine Antwort erhielten, drückte er behutsam die Türklinke und
öffnete den Zugang zum Vorraum der Toilette.
Inga Matzen stand vor dem Spiegel und stützte sich mit
beiden Händen auf dem Waschbecken ab. Sie sah den beiden Beamten aus rot
geränderten Augen entgegen und unternahm keinen Versuch, die durch die Tränen
verwischten Spuren des Make-ups zu beseitigen.
»Entschuldigen Sie«, sagte sie mit kaum wahrnehmbarer
Stimme. »Aber das ist einfach zu viel.«
»Können wir uns irgendwo in Ruhe unterhalten?«, fragte
Große Jäger und streckte ihr die Hand entgegen.
Sie nickte dankbar, fasste dem Oberkommissar auf den
Oberarm und ließ sich von ihm führen. »Dorthin.« Sie dirigierte die beiden
Beamten in ein Büro. »Hier arbeitet Thies.« Sie bemerkte nicht, dass sie in der
Gegenwart sprach und Nommensen nie wieder in diesem Raum sitzen würde.
Das Zimmer war dafür, dass von hier aus der Inselkönig
sein Reich lenkte, bescheiden eingerichtet. Ein einfacher Schreibtisch, ein
schmuckloser Besprechungstisch mit drei einfachen Stühlen und ein alter
Aktenschrank mit einem Rollladen bildeten die ganze Einrichtung, wenn man von
dem altertümlichen Tresor absah, der in der Ecke stand.
»Was ist hier geschehen?«, fragte Große Jäger und
besah sich das einfache Schloss des Aktenschranks, das deutliche Spuren von
Gewaltanwendungen aufwies.
»Das war Bengt Frederiksen. Heute Morgen«, erklärte
Inga Matzen.
Sie setzten sich an den Besprechungstisch.
»Sie mochten Thies Nommensen?«, fragte Christoph.
Zögerlich nickte die junge Frau.
»Sie waren ein Paar? Habe ich die Andeutungen Bengts
vorhin richtig verstanden?«
Sie bestätigte auch dies durch eine Kopfbewegung.
»Ohne Ihre Gefühle verletzen zu wollen, erstaunt es
doch, denn Herr Nommensen hätte ihr Vater sein können.«
»Vierunddreißig Jahre«, bestätigte sie. Christoph
vermutete, dass sie damit den Altersunterschied meinte. Demnach war Inga Matzen
jetzt achtundzwanzig.
»Wo haben Sie sich kennengelernt?«
»Hier, im Büro. Er ist so charmant, so fürsorglich.
Davon sind Männer in meinem Alter weit entfernt.« Für einen Moment hatte ihre
Mimik einen nahezu verklärten Ausdruck angenommen. »Nehmen Sie Jens-Uwe, der
arbeitet bei der Fähre. Der baggert jede allein reisende Frau an. Dabei ist er
verheiratet. Der ist nur an ›Frischfleisch‹ interessiert, wie er es machohaft
nennt.«
»Und Thies war anders?«
»Ja«, bestätigte sie. »Er war zärtlich, fast ein wenig
romantisch. Die alle hier«, dabei beschrieb sie mit ihrer ausgestreckten Hand
einen Halbkreis, »haben ihn nicht gekannt. Natürlich zeigte er eine gewisse
Spur an Härte. Sonst bringen Sie es zu nichts. Nur einer kann schließlich das Geschäft
machen. Und viele neideten ihm seine Erfolge. Thies hatte Gespür für das
Machbare. Ein glückliches
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