Inselkönig
Vergewaltigung
schuldig gemacht haben soll.«
»Das sind bösartige Verleumdungen. Wenn daran auch nur
ein Funken Wahrheit wäre, würden die Behörden mit Sicherheit die Sache verfolgt
haben. Und?« Er zeigte auf Christoph. »Sie sind die Polizei.«
»Man kann sich das Schweigen des Opfers erkaufen.«
Hellberg lehnte sich zurück. »Das ist nicht Ihr Ernst.
Wollen Sie so etwas wirklich unterstellen?«
»Es sei Ihnen versichert, dass wir herausfinden, ob
sich hinter diesem Gerücht die Wahrheit verbirgt. Zumindest hätten die
Beteiligten ein starkes Motiv.«
»Wenn es beispielsweise innerhalb der Familie
geschehen ist, würde man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen«, ergänzte
Große Jäger und rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. »Die Rache würde durch
das Erbe noch vergoldet werden.«
Der Anwalt schüttelte heftig den Kopf. »Ihre Phantasie
reicht sehr weit. Wir sprechen hier über einen der angesehensten Bürger dieser
Insel, über eine honorige Persönlichkeit. Nein, meine Herren. Ich muss Ihren
Ansatz entschieden zurückweisen.« Dann schien ihm eine Idee zu kommen. »War das
der Grund, weshalb Sie eine DNA -Probe
von der Tochter und dem Enkel haben wollten? Sie glauben …« Er brach mitten im
Satz ab, als wäre es absolut unfassbar, was unausgesprochen im Raum stand. Eine
Weile herrschte betretenes Schweigen. Plötzlich stand Jens Hellberg auf. »Ich
glaube, ich kann es verantworten«, sagte er und winkte den beiden Polizisten,
ihm zu folgen. Er führte sie in einen Nebenraum, setzte sich an einen
Schreibtisch mit Bildschirm und gab etwas über die Tastatur ein.
Erst beim dritten Versuch klappte es. »Ich bin nicht
sehr versiert in diesen modernen Technologien«, sagte der Anwalt
entschuldigend. Er zeigte auf den Bildschirm. »Wenn Sie sich selbst überzeugen
wollen.«
Christoph und Große Jäger stellten sich hinter Hellbergs
Stuhl.
»Das ist YouTube«, sagte Christoph. »Das ist eine
weltumspannende Einrichtung, in der jeder Filme einstellen kann. Diese können
von allen Nutzern rund um den Globus im Internet angesehen werden.«
Es dauerte noch eine Weile, und nach mehreren Fehlversuchen
sagte der Anwalt: »Ah, ich glaube, hier ist es.« Er betätigte die Entertaste,
und auf dem Bildschirm erschien ein kleines Fenster. »Sex auf den Land«, war
der Beitrag in falschem Deutsch übertitelt. Sie mussten sich noch gedulden, bis
der Film auf den Rechner geladen war und abgespielt wurde.
»Das ist unglaublich«, sagte Große Jäger und rieb sich
instinktiv die Augen, weil er meinte, vor ihm würde eine Fata Morgana
abgespielt werden. »Wer hat das gemacht?«
Der Beitrag war kurz. Dreiundfünfzig Sekunden wurden
als Laufzeit neben dem Scrollbalken eingeblendet.
»Noch einmal«, bat Christoph.
Jens Hellberg bewegte den Mauszeiger über den
Bildschirm, klickte etwas an, und das Video war verschwunden. »Entschuldigung,
aber ich kenne mich damit nicht aus.« Er benötigte erneut mehrere Anläufe, bis
die drei Männer das Video noch einmal zu Gesicht bekamen.
»Reicht das?«, fragte der Anwalt. »Jetzt stellt sich
die Frage andersherum.«
Im Stillen musste Christoph ihm recht geben. Auf dem
Bildschirm war ersichtlich, dass dieses Video bisher nur ein paar hundert Mal
aufgerufen worden war. Aber das reichte, um zwei Menschen zu diskriminieren.
Thies Nommensen war tot. Aber Inga Matzen lebte. Und wer sich Zugang zu dieser
Veröffentlichung verschaffte, konnte sie in eindeutigen Posen mit dem Mordopfer
sehen.
»Solche Vorlieben scheinen nicht nur amerikanische
Präsidenten zu haben«, umschrieb Christoph dezent das Geschehen. »Moment«,
stoppte er Hellberg, als der die Anwendung verlassen wollte. Das Video war
vorgestern um zwanzig Uhr zwölf eingestellt worden.
»Haben Sie schon irgendetwas unternommen?«, fragte
Christoph den Anwalt.
Hellberg sah ratlos aus. »Ich habe mit einem
befreundeten Kollegen gesprochen, der weitere Erkundigungen einholen wollte. Es
muss schließlich sehr diskret vorgegangen werden. Offen gestanden weiß ich
nicht, an wen ich mich wenden muss, um die weitere Verbreitung zu unterbinden.«
»Wir werden uns darum kümmern«, versprach Große Jäger.
Er beugte sich zum Bildschirm. »Racher«, las er vor. »Das soll vermutlich
Rächer heißen. Entweder ist der, der das hier verzapft hat, unbewandert und
kennt sich nicht mit den internationalen Gepflogenheiten aus, bei denen es
keine Umlaute gibt. Oder der Mensch ist einfach nur dumm.«
»Oder sehr schlau und möchte
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