Inselkönig
gewesen sein. Mich würde auch
interessieren, worum es bei diesem Gespräch ging.«
Mommsen versprach, sich darum zu kümmern. »Wart ihr
heute bei der jungen Frau Frederiksen?«, fragte er dann.
Christoph bejahte.
»Der müsst ihr ordentlich zugesetzt haben. Auf der
hiesigen Dienststelle hat sich ein Rechtsanwalt gemeldet und gesagt, er
vertritt die Interessen der Familien Nommensen und Frederiksen. Er war sehr
ungehalten über die Art und Weise, so seine Worte, wie die Polizei heute früh
Bente Frederiksen überfallen hat.«
»Moment«, fuhr Christoph dazwischen. »Wir haben nur
gefragt, ob die Frau freiwillig eine DNA -Probe
von sich und ihrem Sohn zur Verfügung stellen würde. Der Gedanke ist, dass
Nommensen eventuell seine eigene Tochter missbraucht haben könnte.«
»Wenn diese Frage so viel Aufregung verursacht hat,
liegt der Gedanke nahe, dass ihr in ein Wespennest gestoßen seid«, gab Mommsen
zu bedenken. »Der Anwalt heißt …«
»Jens Hellberg aus Nieblum«, unterbrach ihn Christoph.
»Bist du Hellseher?«
»Nein, aber ich vermute, dass Hellberg die Interessen
Nommensens in allen Belangen vertritt. Der Name tauchte auf der notariellen
Beurkundung des Treuhandvertrages auf, mit dem verschleiert werden sollte, dass
Nommensen in Wahrheit hinter der Innig & Raub Immobilien GmbH steckte.«
Christoph bat um die Anschrift des Rechtsanwalts.
»Wer heute über die Insel fährt, glaubt nicht, dass es
den gestrigen Tag gegeben hat«, stellte Große Jäger unterwegs fest, nachdem er
sich wie üblich hinter das Lenkrad des Dienstwagens geklemmt hatte. Unter dem
blauen Himmel glitzerte das Weiß, so weit das Auge reichte. »Ich verstehe,
weshalb Einheimische und Gäste meinen, in einem Paradies zu leben«, brabbelte
der Oberkommissar vor sich hin. »Und dieser Depp Nommensen ist in ein anderes
Paradies übergewechselt.«
»Allerdings nicht freiwillig«, sagte Christoph.
»Haben wir nicht einen merkwürdigen Beruf?«, überlegte
Große Jäger laut. »Wir suchen den, der den Inselkönig von einem Paradies ins
nächste verschubt hat.«
»Verschubt!« Christoph lachte, als der Oberkommissar
diesen Begriff verwandte, der im Strafvollzug benutzt wird, wenn ein Häftling
von einer Justizvollzugsanstalt in eine andere verlegt wird.
Über eine Verbindungsstraße erreichten sie bald darauf
den Ortsrand von Nieblum, einem der schönsten Dörfer Schleswig-Holsteins. Das
im Kern noch in seiner Ursprünglichkeit erhaltene Friesendorf mit seinen
reetgedeckten Häusern zeichnete sich durch das Buckelpflaster seiner Straßen
und die alten Bäume aus, die den Wegesrand säumten. Auch zu dieser Jahreszeit
bot es ein malerisches Bild.
Sie wurden zunächst vom alles überragenden Friesendom,
der St.-Johannis-Kirche, begrüßt.
»Wohin?«, fragte Große Jäger, als sie im Ortszentrum
angekommen waren.
Christoph sah sich um. »Hier müssen wir links ab«,
erklärte er an einer Straßenkreuzung, die von einem weißen Haus mit tief
heruntergezogenem Strohdach dominiert wurde.
»Es ist beeindruckend, wie das harmoniert.« Christoph
zeigte auf das Haus, über dessen Eckfenster ein Schild verkündete, dass hier
ein Frischemarkt und die Poststelle untergebracht waren, darüber zeigten
schmiedeeiserne Ziffern an, dass dieses Haus 1637 erbaut worden war.
Große Jäger folgte Christophs Anweisungen. Selbst
unter dem Schnee war das rumpelige Kopfsteinpflaster zu spüren. Die
Grundstücke, die bis an die Fahrbahn heranreichten – Gehwege gab es keine –,
wurden durch die typischen Friesenwälle begrenzt.
In einem der alten Häuser befand sich Hellbergs
Kanzlei.
Die niedrige Tür wurde ihnen von einer älteren,
hageren Frau geöffnet, die ihre Haare zu einem Knoten hinter dem Kopf
hochgebunden hatte.
»Sie wollen zu meinem Mann«, stellte sie fest, nachdem
Christoph sich und Große Jäger vorgestellt hatte. Sie bat die beiden Beamten,
in einem Wartezimmer Platz zu nehmen. In dem kleinen Raum waren hölzerne Stühle
mit einem schon brüchig gewordenen abgenutzten Lederbezug an den Wänden
aufgestellt. Der kleine Tisch aus dem gleichen dunklen Holz diente als Ablage
für die Büchermappe.
Nach zehn Minuten erschien ein hochgewachsener Mann in
dunkler Hose und weißem Hemd. Die rote Fliege am Kragenknopf schien sein
Markenzeichen zu sein. Der sorgsam gestutzte graue Bart und der die Glatze
umrandende Haarkranz verliehen ihm ein respektables Äußeres. Hinter der dicken
Hornbrille huschten die Augen zwischen den beiden Polizisten
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