Inselkönig
mit einem scharfen »Wilderich«
zur Ordnung rief.
»Ist schon gut«, knurrte Große Jäger, der instinktiv
den Kopf zwischen die Schulterblätter eingezogen hatte, sich zu seiner Mutter
niederbeugte und ihr einen schmatzenden Kuss auf die Wange gab. »Dafür kannst
du deiner mütterlichen Pflicht nachkommen und mir drei Brötchen schmieren.«
»Bist du ein großer Junge?«, entgegnete seine Mutter
und wollte sich in seine Richtung beugen, als sie bemerkte, dass sie mit ihrem
üppigen Busen auf dem vor ihr stehenden Teller gelandet war. »Hoppla«, sagte
sie und versuchte, ihre Bluse mit dem Blümchenmuster vom Marmeladenfleck zu
reinigen. Dann sah sie Christoph an. »Was gibt es Neues, junger Mann?«
»Wir sind gut vorangekommen«, antwortete Christoph
ausweichend.
»Haben Sie schon jemanden verhaftet?«
Christoph hüstelte. »Das sind Dienstgeheimnisse,
gnädige Frau.«
»Es bleibt doch in der Familie, wo mein Junge bei
Ihnen mitmacht. So schwer kann es doch nicht sein. Sie müssen die Leute nur
richtig befragen. Dann gesteht der Täter schon.«
»Danke, Mama. Jetzt klappt es sicher besser, wenn wir
auf deine Ratschläge hören.«
Den Rest des Frühstücks verbrachten sie mit munterem
Geplänkel über allgemeine Themen. Große Jägers Mutter wollte wissen, wo
Christoph und Anna wohnen würden.
»Oh, Nordstrand. Ich habe gehört, das ist das Tor zum
Weltnaturerbe Wattenmeer«, zeigte sich Frau Lütke Westhues gut informiert.
»Seit wann wohnen Sie dort? Wo wohnen Sie? Ist das ein schönes Haus?« Die
Fragen kamen so schnell, dass Anna, die die Beantwortung übernommen hatte, kaum
Zeit blieb, eine Erklärung abzugeben.
Hoffentlich erzählt sie nicht aus Versehen, dass ich
in den nächsten Tagen geschieden werde, dachte Christoph. Das würde das
Weltbild von Große Jägers Mutter erschüttern. Es würde auch nicht helfen zu
versichern, dass eine Ehe zwischen Anna und Christoph nicht ausgeschlossen war.
Irgendwann beschloss Frau Lütke Westhues, die »Tafel
aufzuheben«, wie sie es nannte.
»Prima«, knurrte Große Jäger für seine Mutter unhörbar
hinter ihr her. »Ich hatte schon Befürchtungen, dass die Polizeiarbeit heute
ruht.«
Christoph hatte beschlossen, noch einmal Ingwer
Frederiksen zu befragen. Er rief Hauptkommissar Thomsen an und ließ sich die
Adresse durchgeben.
»Der wohnt ›Achtern Diek‹.«
»Wohnen hier nicht alle hinterm Deich?«, fragte
Christoph. »Der Begriff ist doch ein Markenzeichen für Nordfriesland.«
Thomsen lachte. »Die Straße heißt so. Sie finden …«
»Danke«, unterbrach ihn Christoph. »Ich fürchte nicht,
dass wir uns verfahren.«
»Lassen Sie es mich doch erklären. Es ist im Prinzip
fast hinter der Polizeidienststelle. Sie fahren von der Gmelinstraße bis zur
Ecke und folgen dann der Badestraße. An der Kreuzung …«
»An der es rechts Richtung Hafen abgeht?«
»Richtig. Dort fahren Sie weiter geradeaus ins
Gewerbegebiet zwischen den Parkplätzen der beiden Verbrauchermärkte hindurch.
Am Ende der Straße ist der in Wyk berüchtigte Ort, an dem ein Güllebehälter
stand, der geplatzt ist. Können Sie sich vorstellen, wie es ist, wenn Millionen
Liter Gülle auslaufen? Das hat nicht nur tagelang gestunken, sondern die ganze
Gegend war ein einziger Morast. Alles versumpft. Sie biegen rechts ab und
fahren bis kurz vorm Deich. Dort parken Sie. Frederiksen wohnt in einer der
vier Behelfsbehausungen, die von der Stadt eingerichtet wurden.«
»Gibt es einen Grund, weshalb Sie die Anfahrt so
akribisch beschreiben?«
»Sie werden es sehen«, antwortete Thomsen ausweichend.
Schon die Fahrt durch das Gewerbegebiet führte die
Beamten in eine andere Welt. Während Wyk mit seinem Charme als Badeort und
Inselmetropole wuchern konnte, wirkte hier alles »unaufgeräumt«, wie Große
Jäger spontan das Areal beschrieb. Am Rande drängten sich vier grüne Container
aus Blech, die jeweils mit einem Dach aus dem gleichen Material gedeckt waren.
An warmen Tagen im Sommer musste es unerträglich in den Hütten sein. Heute
zierten weiße Hauben die Flachdächer. Zwischen den einzelnen Unterkünften
türmte sich Gerümpel, das gnädig vom Schnee verdeckt wurde.
Sie mussten zweimal nachfragen, bis sie Ingwer
Frederiksen gefunden hatten.
Beim Anblick des armseligen Raums mit der
spartanischen Einrichtung verstand Christoph, weshalb der Mann jede Gelegenheit
nutzte, sich an anderen Orten aufzuhalten. Selbst eine karge Gefängniszelle
schien komfortabler zu sein.
Frederiksen
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