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Inselkoller

Inselkoller

Titel: Inselkoller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Pelte
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studieren.
    »Tut mir leid, mein Sohn, aber das wird nichts.
Ich hab noch eine Besprechung, deren Ende ich nicht absehen kann. Ich wollte dich
bitten, für dich und deine Schwester das Abendbrot zu besorgen.«
    »Gut, dann kommt Jessi mit dem Bus. Sie isst
mit uns. Wo liegt denn Geld zum Einkaufen?«
    Das schätzte er an seinem Sohn: Er musste mit
ihm nicht lange herumreden. Aber Haushaltsgeld gab’s nicht, weil in der Vergangenheit,
als für diese Zwecke noch eine Kasse in der Küche eingerichtet gewesen war, davon
alles bezahlt worden war, nur keine Lebensmittel. Das konnten sie sich auf Dauer
nicht leisten.
    »Clemens, du musst das mal auslegen. Mama bleibt
über Nacht in Husum und fällt als Geldgeber aus.«
    »Na gut, ich check den Kühlschrank und die
Tiefkühltruhe. Ich werd schon was finden. Tiefkühlpizza und Chicken Wings sind noch
da, glaube ich.«
    »Gut, Clemens, ich setz auf dich. Und wenn
du Gemüse findest, denk daran, auch das ist essbar. Tschüss, bis heute Abend.«
    »Tschüss, bis dann, Paps.«
     
    Das Wort ›gesund‹ durfte er gegenüber seinen Kindern nicht in den Mund
nehmen, das war in der Regel kontraproduktiv. Jung legte den Hörer mit gemischten
Gefühlen und einem Seufzer auf. Seine Kreditkartennummer im Internet und die Ernährung
seiner Kinder mit Junkfood verursachten ihm Magengrimmen. Es blieb ihm ein Rätsel,
wie die beiden bei der von ihnen bevorzugten Ernährung gesund bleiben und knapp
zwei Meter beziehungsweise 1,74 Meter groß werden konnten.
    Er beneidete einen gewissen Commissario Brunetti
aus Venedig, dessen Frau so fantastisch kochen konnte, und zwar mittags und abends.
Die Kinder der beiden halfen beim Decken des Tisches und beim Abwasch. Die gesamte
Familie nahm zum gemeinsamen Mahl an einem gedeckten Tisch auf der Terrasse Platz,
hoch über den Dächern von Venedig mit Blick auf San Marco. Brunettis Frau Paola,
gleichermaßen perfekt als Gattin wie als Privatdozentin an der Universität, schenkte
kühlen Pinot Grigio in die Gläser, und die gepflegte Konversation in bestem, grammatikalisch
untadeligem Italienisch drehte sich um den unbedachten Kommentar der Tochter zur
Rasse eines Mordopfers oder um den kurzen, kommunistischen Fieberanfall des Sohnes,
der binnen kürzester Zeit und mit sachkundiger, pädagogisch wertvoller Hilfe der
Eltern überwunden werden konnte. Darüber leuchtete die warmherzige Liebe der Alten
und tauchte die Szenerie in einen Goldglanz, der bis nach Deutschland strahlte.
    Jung schickte ein Stoßgebet gen Himmel, legte
den Kopf in den Nacken und gab seine Probleme in göttliche Hände. Er betete um gute
Fügung und um Vergebung seiner Unzulänglichkeiten. Das war der erste Schritt, sich
zu beruhigen und sich auf die bevorstehende Unterredung mit Boll zu konzentrieren.

Der Pensionär
     
    Jung lenkte sein Auto aus der Tordurchfahrt auf die Straße zum ZOB [6] in Richtung Exe und weiter auf die Umgehung.
Draußen war es noch schwüler und drückender geworden. Er genoss die allmählich einsetzende
Kühlung aus der Klimaanlage. Als er auf die Osttangente einbog, sah er im Südwesten,
dicht über dem Horizont, eine schwarze Wolkenwand heraufziehen. An der Oberseite
schossen Wolkentürme in den Himmel. Die allmählich untergehende Sonne machte aus
ihnen blendend weiße Blumenkohlköpfe. Heute Abend wird es heftige Gewitter geben,
überlegte er, hoffentlich komm ich ohne Schwierigkeiten wieder nach Hause.
    In Oxbüll verließ er die Straße in Richtung
Ulstrup/Bockholm, und nachdem er die sanfte Kuppe der letzten Moräne vor der Förde
erklommen hatte, lag die Halbinsel Holnis vor ihm. Boll hatte dort in den 70er-Jahren
ein altes Siedlungshaus erworben und es für sich und seine Frau hergerichtet. Die
Halbinsel teilt die Innen- von der Außenförde und ist der letzte Flecken deutschen
Bodens vor den dänischen Äckern, die jenseits der engen Fahrrinne zu erkennen sind.
Holnis war vor einigen Jahren zum Landschaftsschutzgebiet erklärt worden. Leider
einige Jahre zu spät, denn die Ufer waren schon vorher von einer billigen Freizeit-
und Ferienindustrie besetzt worden. In den letzten Jahren hatte sich die Gemeinde
mit großem Aufwand um Verbesserungen bemüht, mit bescheidenem Erfolg. Zumindest
durfte auf der Halbinsel zur Freude derjenigen, die dort wohnten, nicht mehr gebaut
werden. So gewann Bolls Haus an Exklusivität und Wert und er selbst die Gewissheit,
dass der Ausblick auf das vor seinem Haus per Durchstich von der Förde geflutete
Noor nicht

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