Inselkoller
nachträglich über den ausgelegten Köder.
Er erzählte die ganze Geschichte ausführlich, einschließlich Holtgreves Besuch und
den Informationen, die er aus dem Gespräch mit Endert gewonnen hatte. Auf die Darstellung
seiner eigenen Gedanken verzichtete er.
Außer vom ersten, noch fernen Grollen der herannahenden
Gewitterfront war Jung in seiner Erzählung nicht unterbrochen worden. Boll hatte
die ganze Zeit geschwiegen und ab und zu einen Schluck aus seinem Glas genommen
und dazwischen Oliven und Schinkenhäppchen in den Mund geschoben. Als Jung geendet
hatte, sah Boll ihm lange in die Augen und lächelte.
»Krankhaft dick und reich, keine glückliche
Kombination, nicht wahr? Aber mysteriös«, war seine erste Reaktion. Dann füllte
er ihre Gläser erneut, lehnte sich in das Sofa zurück und schwieg erneut. Jung sagte
ebenfalls nichts und schaute auf die Fotografie eines in den Wellen kämpfenden Admiral’s
Cuppers, die an der gegenüberliegenden Wand aufgehängt war. Schließlich brach Boll
sein Schweigen.
»Ich finde, die wichtigste Frage ist: Woher
stammt das Gift? Aus meiner langjährigen Kenntnis der Firma weiß ich, dass unsere
Kollegen, die mit dem Fall betraut waren, das genauso gesehen haben. Dass sie nicht
fündig geworden sind, ist allerdings überraschend und verweist auf die Kompliziertheit
der Angelegenheit. Na ja, schließlich ist sie ja deswegen auch bei dir gelandet«,
schloss er lakonisch.
»Ja, das sehe ich auch so«, erwiderte Jung.
»Wenn ich mir vorstelle, wie ungeheuer erfolgreich die Tote in diesem Haifischbecken,
genannt ›Syltvermarktung‹, agiert hat, kann ich mir auch vorstellen, dass es einige
Leute gegeben haben muss, die ihren Tod nicht gerade bedauert haben. Das heißt nicht
unbedingt, dass sie ihren Tod herbeigeführt haben müssen; das heißt aber auch nicht,
dass sie an der Aufklärung großes Interesse gehabt haben. Stille, verzweifelte Selbsttötung
passt da besser in die Landschaft und stört nicht die Wertschöpfung an der glamourösen
Sommerfrische. Die hätte mit Sicherheit Schaden genommen, wenn jeden Tag Schlagzeilen
über die letzten Gerüchte des ›spektakulären Syltmordes‹ auf den Titelseiten der
Boulevardpresse zu lesen gewesen wären. Ich glaube, das Umfeld ist mit dem Status
quo froh und glücklich. Sie wissen ja noch nicht, dass es weitergeht.«
»Das dürfte auch der Grund für die Intervention
von oben sein«, ergänzte Boll. »Das subtile Wirken entsprechender Kanäle und Netzwerke
kennen wir ja von anderen Gelegenheiten. Ich erinnere nur an die erteilten Baugenehmigungen
für einen Hotelkomplex im Süden, im Landschaftsschutzgebiet. Der wurde mit sehr
prominentem Geld finanziert.«
Jung kostete erneut die Oliven und den Schinken
und nickte anerkennend. Dann nahm er einen längeren Schluck aus seinem Glas, sah
es einen Augenblick bewundernd an und stellte es zurück.
»Wie sieht es mit den Nutznießern des Todes,
den Erben, aus?«, fuhr Boll fort. »Auch hier dürfen wir davon ausgehen, dass die
Kollegen die Alibis ausreichend durchleuchtet haben. Also sind die dicht. Hier wäre
zu prüfen, ob sie von dem ernsten Zustand ihrer Mutter beziehungsweise Schwiegermutter
gewusst haben. Das würde ein mutmaßliches Motiv erheblich relativieren. Es sei denn,
sie hätten unter Zeitdruck gestanden.«
»Ich habe in eine ähnliche Richtung gedacht.
Auch hier gilt das, was wir schon vorher beim Umfeld analysiert haben.« Beide tranken
von dem köstlichen Riesling und machten eine längere Pause.
»Wie wäre also vorzugehen?«, nahm Boll das
Gespräch wieder auf. »Ich würde es wie folgt machen: Erstens keinen Staub aufwirbeln.
Nichts darf darauf hindeuten, dass was Neues in Gang kommt. Zweitens: Du musst Zugang
zu subtileren Informationen bekommen, die unseren Kollegen unter den gegebenen Umständen
nicht zugänglich waren. Drittens: Der Weg dorthin scheint mir über die Freundin
der Toten zu gehen. Finde heraus, wie nahe sie sich gestanden haben. Gewinne ihr
Vertrauen und ihre Verschwiegenheit. Binde sie in deine neuerliche Aufklärungsarbeit
als Beraterin ein. Für die Beantwortung aller aufgeworfenen Fragen werden sich danach
schon neue Wege eröffnen. Viertens: Mach Holtgreve zu deinem Komplizen. Er darf
nicht in Loyalitätskonflikte mit denen da oben kommen. Du weißt, was ich meine.«
Boll lehnte sich in seinem Sofa zurück und
sah Jung zufrieden und zugleich fragend an.
Jung nickte und sagte nach einer längeren Pause:
»Genau dasselbe ist mir,
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