Inselkoller
eingesetzt.«
»Meinen Fall auch, so, so. Und welche Gedanken
kamen Ihnen dazu?«
»Ich will mich ja nicht einmischen, das steht
mir nicht zu. Aber ich glaube, es war ein Unfall. Die Herren von der Ermittlung
neigen dazu, das Naheliegende zu übersehen.«
»Guter Tipp, Petersen. Ich werd darüber nachdenken.
Danke. Schönen Tag noch.«
»Danke, gleichfalls, Herr Kriminalrat.«
Petersen, Petersen, den Kopf voller Fernsehkommissare
und Oberinspektoren. Jung schüttelte innerlich den Kopf.
Er hatte sich heute als Erstes vorgenommen, den Leitenden über sein
weiteres Vorgehen zu informieren. Er stieg deshalb die Treppen bis in die oberste
Etage hinauf, wo Holtgreve am Ende des Flures, hinten links, residierte: Vorzimmer
und geräumiges Büro, die Fenster mit Blick auf Hafenspitze und Förde. Die Einrichtung
unterschied sich nicht von der anderer Büros im Hause, wenn man davon absah, dass
das Mobiliar weniger abgenutzt war als zum Beispiel das in Jungs Büro. Jung wollte
sich im Vorzimmer anmelden. Der Leitende hatte ihn aber schon durch die offen stehende
Tür gehört und bat ihn sofort zu sich herein.
»Morgen, Jung, wie steht’s?«
»Guten Morgen, Herr Holtgreve. Wie versprochen,
will ich Sie informieren, bevor ich in der Sache Mendel tätig werde.«
»Gut. Gefällt mir. Setzen Sie sich. Legen Sie
los.«
Holtgreve legte die Unterarme auf die ansonsten
leer gefegte Schreibtischplatte, faltete die Hände, als wenn er beten wolle, und
sah ihm unverwandt in die Augen. Jung setzte sich auf den Bürostuhl vor dem Schreibtisch.
Ihm fiel störend auf, dass die Sitzhöhe unter dem Sitzniveau von Holtgreves Bürosessel
lag.
»Ich habe die Zusammenfassung der Ermittlungsergebnisse
gelesen. Folgendes scheint mir wichtig, wenn wir Klarheit bekommen und den Fall
ordnungsgemäß abschließen wollen.«
In den folgenden Minuten fasste Jung in kurzen
Sätzen zusammen, was er mit Boll besprochen hatte, erwähnte das Gespräch selbst
aber nicht. Er wartete auf Holtgreves Reaktion.
»So weit einverstanden. Problem ist die Freundin.
Sie ist keine Beamtin und darf nicht wissen, was wir wissen. Sie verstehen, Amtsverschwiegenheit,
Diskretion. Plappert vielleicht, um sich aufzuspielen. Also Abstand. Ansonsten okay«
»Dann mach ich es so.«
»Jung, noch was. Keine Kritik an den Kollegen.
Ich will keine Unruhe im Haus.«
»Warum sollte ich sie kritisieren? Habe ich
einen Grund dazu, den Sie mir nicht gesagt haben?«
»Nein, nein«, beeilte sich Holtgreve, ihn zu
beschwichtigen. »Wir beide müssen das können, dafür haben wir studiert. Die Zauberlehrlinge
da unten aber nicht. Sie wissen, was ich meine?«
Jung wusste beim besten Willen nicht, was der
Leitende meinte, und fühlte sich unangenehm berührt.
»Guten Morgen und schönen Tag noch.«
»Danke gleichfalls. Und sprechen Sie sofort
vor, wenn es Neues gibt, Jung.«
Wie kam es, dass er sich nach jeder Begegnung
mit dem Leitenden beschmutzt vorkam, und dass er Druck verspürte, sich wehren zu
müssen? Jung betrat missmutig das Treppenhaus.
Als er die Tür zu seinem Arbeitsraum öffnete,
hatte er das Gefühl bereits verdrängt und sann darüber nach, was als Nächstes zu
tun sei. Sein Blick fiel durch das Fenster auf die Förde, die heute unter der strahlenden
Sonne glitzerte wie gestern auch, nur mit dem Unterschied, dass der klebrige Dunst
einem strahlend blauen Himmel gewichen war. Er fragte sich, wie lange das schöne
Wetter noch anhalten würde.
Der Arzt
Der Hausarzt der Toten fiel ihm ein. Er suchte sich den Namen des Flensburger
Mediziners aus den Ermittlungsakten, schlug die Nummer im Telefonbuch nach und wählte.
»Vorzimmer Praxis Dr. Bär, was kann ich für
Sie tun?«, meldete sich eine geschulte, einschmeichelnde Frauenstimme.
»Jung, Polizei-Inspektion Nord. Ich würde gerne
mit Dr. Bär sprechen.«
»Ich nehme an, es ist dringend. Während der
Sprechstunde störe ich ihn ungern. Ich stelle Sie zu Dr. Bär durch.« Jung sah durch
das Telefon ein makellos hergerichtetes und von einem professionellen Lächeln freigelegtes
Gebiss.
»Bär.«
»Jung, von der Polizei-Inspektion Nord. Guten
Tag.«
»Guten Tag. Ich bin gerade sehr beschäftigt.
Kann ich Sie zurückrufen?«
»Es dauert nur einen kurzen Moment. Ich wollte
Sie zu einer ehemaligen Patientin von Ihnen, Frau Mendel, befragen. Sie erinnern
sich?«
»Ich erinnere mich. Aber Sie wissen vielleicht,
dass die Schweigepflicht des Arztes auch über den Tod hinaus verbindlich ist. Schon
allein
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