Inselkoller
schwebte in einer eleganten, schnellen Kurve gegen den Wind
auf die zwischen Watt und Inselsockel gelegene Salzwiese und hockte sich unverzüglich
auf den Boden. Der Pilot musste es eilig haben und seiner Sache sehr sicher sein.
Vielleicht war er auch nur wagemutig, unerfahren und jung.
Jung trat aus seinem Unterstand. Die Kollegen
von der Spurensicherung sprangen aus den geöffneten Türen und liefen, sich gegen
den Downrush der Rotorblätter duckend, auf den winkenden Jung zu. Er begrüßte sie
kurz und wies sie mit knappen Worten in die Lage ein. Sie sperrten sogleich das
Grundstück und die Wattseite ab und nahmen ihre Arbeit präzise, unaufgeregt und
mit methodischer Gründlichkeit auf. Jung wusste aus Erfahrung, dass es noch lange
dauern würde, bis er seine Neugier mit Fakten füttern und in eine zielgerichtete
Arbeit überführen konnte.
Der Pilot hatte inzwischen die Turbine heruntergefahren
und abgeschaltet. Am hinteren Einstieg erschien Dr. Endert, der Gerichtsmediziner.
Er setzte sich umständlich auf die Kante des Einstiegs und ließ die Beine baumeln.
Als seine Fußspitzen den Erdboden berührten, wagte er es, seinen restlichen Körper
den Beinen anzuvertrauen. Schließlich stand er auf der Wiese, sehr krumm und wie
jemand, der sich auf einem netten Sonntagnachmittagsausflug befindet.
»Guten Tag, Herr Kollege«, begrüßte er Jung.
»Ich hätte nach unserem letzten Telefonat nicht gedacht, Sie schon so bald unter
so netten Bedingungen wiederzusehen.«
»Unverhofft kommt oft«, entgegnete Jung.
»Ja, stimmt. Ziemlich kalt und windig hier.
Das ist eigentlich nichts für mich. Aber nun zeigen Sie mir mal Ihr Baby. Wolln
sehn, was wir machen können.«
Jung führte ihn zum Grundstück. Die Spurensicherung
verwehrte ihnen aber den Zutritt und vertröstete sie auf später.
»Da kann man nichts machen. Fassen wir uns
in Geduld. Sie sehen mitgenommen aus, Herr Kollege. Geht’s Ihnen nicht gut? Hier
haben Sie ein Taschentuch, Ihre Nase tropft.«
Erst jetzt merkte Jung, dass ihn fröstelte
und dass seine Nase lief. Er nahm das angebotene Taschentuch dankbar an. Als er
sich schnäuzte, taten ihm die Nasenhöhlen weh. Zugleich schmerzten die Haarwurzeln,
wenn der Wind an seinem Kopfhaar zerrte. Ihm wurde mulmig. Bitte nicht das, bitte
jetzt keinen Ausfall, wo es interessant zu werden verspricht, flehte er. Aber sein
Verstand sagte ihm, dass es schon zu spät war. Er wusste aus vieljähriger Erfahrung,
wie es weitergehen würde. Er fluchte tonlos und völlig vergeblich. Er wollte durchhalten,
bis Endert einen ersten Eindruck bekommen hatte und er ihn mit Anfangsinformationen
versorgen konnte.
Aber noch bevor die Spurensicherung Endert
den Zugang zur Gartendeponie gestattete, hatte Jung das Gefühl, als hätte ihn ein
Elefant getreten. Er fühlte sich schlapp und müde. Sein Kopf begann zu schmerzen.
Er fing an zu schwitzen. Nur mit Mühe hielt er die Augen offen, seine Lider taten
ihm weh. Der erste Hustenreiz stellte sich ein, und als er husten musste, schmerzte
seine Brust höllisch.
»Sie sollten sich ins Bett legen, Herr Kollege.
Hier geht alles seinen Gang. Ich werde Sie auf dem Laufenden halten«, meldete sich
Endert, der Jung aufmerksam beobachtet hatte. Ihr Gespräch war zum Erliegen gekommen,
und Jung schien abwesend.
»Die örtliche Polizei ist inzwischen eingetroffen.
Sie wird Sie in Ihre Unterkunft fahren. Seien Sie vernünftig. Hierzubleiben hilft
keinem, vor allem nicht Ihnen.«
Jung ließ sich ziemlich widerstandslos in das
Polizeiauto setzen. Er bedankte sich kurz bei Endert und wies den Fahrer mit schlapper
Stimme an, ihn zuerst in die Apotheke in der Strandstraße zu fahren. Von der sympathischen
Apothekerin erhoffte er sich rasche Hilfe.
»Sie sehen zum Gotterbarmen aus, Herr Jung«, bemerkte die Apothekerin,
nachdem sie sich begrüßt hatten. Jung war von dem kurzen Fußweg aus der Strandallee
in die Fußgängerzone schon erschöpft und vermochte ihre Höflichkeit nicht gebührend
zu erwidern.
»Mir geht es auch so.«
Jung schilderte ihr, so gut und knapp es ging,
sein Befinden.
»Eine typische Sommergrippe«, diagnostizierte
sie ohne Zögern und falsche Zurückhaltung.
»Sie müssen trinken, trinken, trinken. Wie
viel wiegen Sie?«
»75 Kilo.«
»75 mal 300 Zentiliter pro Tag ist die wünschenswerte
Norm für Sie. Wenn Sie gesund sind, wohlgemerkt. Trinken Sie drei Flaschen Wasser
am Tag?«
»Nein.«
»Wenn Sie sich daran gehalten hätten, ginge
es Ihnen jetzt besser.
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