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Inseln im Netz

Titel: Inseln im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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überspülte sie warm und salzig. Das letzte Licht verlor sich aus dem Himmel, aber das brennende Schiff erhellte die Meerenge wie ein Schlachtfeld.
    Weitere kleinere Explosionen, und ein Aufblitzen beim einzigen Rettungsboot des Schiffes. Er hatte sie umgebracht. Großer Gott, sie würden sie alle umbringen! Wie viele Menschen - hundert, hundertfünfzig? Man hatte sie in einen Viehwaggon getrieben, auf die See hinausgefahren und abgeschlachtet! Verbrannt und ertränkt, wie Ungeziefer!
    Eine Drohne brummte zornig in niedriger Höhe über sie hinweg. Sie fühlte den Wind davon in ihrem durchnäßten Haar.
    Sie klemmte sich den Ring unter die Achseln und begann angestrengt zu schwimmen.
    Die See war kabbelig, mit kurzen, harten Wellen, die ihr Gischt ins Gesicht spritzten. Sie dachte an Haie. Auf einmal waren die undurchsichtigen Tiefen unter ihren nackten Beinen voll von lauernden Gefahren. Sie schwamm, so schnell sie konnte, bis die Panik in fröstelnde Erschöpfung überging. Schließlich wandte sie sich um und blickte zurück.
    Das Schiff ging unter. Das Heck zuletzt, steil aufragend, flammend und qualmend wie ein mit Kerzen besetzter Grabstein. Sie beobachtete es lange Sekunden, während der Herzschlag ihr in den Ohren dröhnte, bis es gurgelnd und in zischenden Dampfwolken unterging, in Schwärze versank.
    Die Nacht war bedeckt, und Dunkelheit legte sich wie ein Bahrtuch über den Schauplatz des Schiffsuntergangs. Die sich ausbreitende Welle des über der Untergangsstelle zusammenschlagenden Wassers traf sie und ließ sie wie eine Boje tanzen.
    Wieder ein Brummen über ihr. Dann in der Ferne, in der Dunkelheit, das Schnattern von Maschinengewehrfeuer.
    Sie töteten die Überlebenden im Wasser. Erschossen sie mit Infrarot-Zielgeräten aus Drohnen in der Dunkelheit. Laura begann wieder zu schwimmen, verzweifelt bemüht, aus dem Gefahrenbereich zu entkommen.
    Sie wollte, sie durfte nicht hier draußen sterben. Nein, nicht in Fetzen geschossen werden, getötet wie eine Ratte… David… das Kind…
    Ein Schlauchboot brauste vorbei, dunkle Gestalten und das ruhige Gemurmel eines Außenbordmotors. Etwas klatschte ins Wasser - jemand hatte ihr eine Rettungsleine zugeworfen. Sie hörte Hennesseys Stimme: »Greifen Sie zu, schnell!«
    Sie tat es. Entweder zugreifen, oder hier sterben. Sie holten die Leine ein und zogen sie über den Rand des Schlauchboots. Hennessey grinste sie in seinen triefenden Kleidern an. Er hatte Gefährten: vier Matrosen in weißen, runden Mützen und sauberen dunklen Uniformen, an denen goldene Litzen glänzten.
    Sie lag ausgestreckt am Boden des Schlauchboots, der schwarz und glitschig war und sich mit dem Wellenschlag unter ihr bewegte. Sie hatte nur noch ihre Unterwäsche und die Saribluse an. Einer der Seeleute warf den Rettungsring über Bord. Sie nahmen Geschwindigkeit auf. In der Dunkelheit konnte Laura nicht erkennen, wohin es ging.
    Der nächste Seemann beugte sich zu ihr nieder, ein Anglo von ungefähr vierzig Jahren. Sein Gesicht sah in der Dunkelheit so weiß wie ein aufgeschnittener Apfel aus. »Zigarette, Madam?«
    Sie starrte ihn an. Er richtete sich wieder auf, zuckte die Achseln.
    Sie hustete Seewasser, dann zog sie die Beine an, zitternd, elend. Zeit verging. Allmählich begann ihr Verstand wieder zu arbeiten.
    Das Schiff hatte keine Chance gehabt. Nicht einmal Gelegenheit, einen SOS-Ruf zu funken. Die erste Rakete hatte mit den Aufbauten die Brücke zerstört - Radio, Radar und alles. Die Mörder hatten ihrem Opfer zuerst die Kehle durchgeschnitten.
    Aber hundert Menschen mitten in der Malakkastraße umzubringen! Solch eine Greueltat zu begehen - sicherlich mußten andere Schiffe die Explosion und den Rauch gesichtet haben. So etwas zu planen und durchzuführen, so skrupellos und bösartig…
    Ihre Stimme, als sie endlich etwas herausbrachte, war matt und brüchig. »Hennessey...?«
    »Henderson«, sagte er. Er zog sich den naßglänzenden roten Regenumhang über den Kopf. Darunter kam eine leuchtend orangefarbene Schwimmweste zum Vorschein. Darunter eine Arbeitsweste mit allerlei Verdickungen, Reißverschlüssen, Ösen und Klappen. »Hier, ziehen Sie diesen Umhang über.«
    Er hielt ihn ihr hin. Sie griff mechanisch zu, machte aber keine Anstalten, hineinzuschlüpfen.
    Henderson schmunzelte. »Ziehen Sie das Ding über! Oder wollen Sie hundert heißblütigen Seemännern in nasser Unterwäsche gegenübertreten?«
    Die Worte drangen nicht gleich durch, aber sie folgte trotzdem

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