Inseln im Netz
neue Sachen zum Anziehen bringen. Später werden wir etwas essen.« Er lächelte ihr zu, sah, daß es nicht wirkte, und musterte sie mit verdüsterter Miene. »Hören Sie, was hatten Sie auf diesem Schiff zu suchen? Sie sind doch nicht zur Datenpiratin geworden, nicht wahr? Eine Art Doppelagentin?«
»Nein, natürlich nicht!«
»Haben Sie einen besonderen Grund, diese Verbrecher zu bemitleiden?«
Die moralische Gedankenlosigkeit verblüffte sie. Sie waren Menschen. »Nein…« sagte sie, beinahe widerwillig.
Hesseltine zog sein Hemd aus und enthüllte eine schmale, aber sonnengebräunte und muskelbepackte Brust.
Sie warf einen Seitenblick zu seiner Arbeitsweste. Dort mußte er irgendwo die Waffe verstaut haben.
Er bemerkte ihren Blick, und sein Gesicht verhärtete sich. »Wie Sie wollen. Dann werden wir es ganz einfach machen: Gehen Sie in die Duschkabine und kommen Sie erst heraus, wenn ich es Ihnen sage. Andernfalls…«
Sie trat in die Duschkabine, schloß die Tür und drehte die Dusche auf. Sie blieb zehn Minuten in der Kabine, während die Dusche einen summenden Ultraschallnebel niedergehen ließ, gefolgt von ein paar Litern Wasser zum Nachspülen.
»Genug jetzt!« rief Hesseltine. »Raus!«
Sie verließ die Duschkabine, wieder in seinem Regenumhang. Hesseltine war sauber und elegant zurechtgemacht. Er trug eine mitternachtsblaue Marineuniform und Schnürschuhe mit Schaumgummisohlen. Jemand hatte einen grauen Trainingsanzug aus Frottee für sie bereitgelegt: die Hose mit Gummizug, die Bluse mit Kapuze.
Sie stieg in die Hose, kehrte ihm den Rücken, warf den Regenumhang ab und fuhr schnell in die Trainingsbluse. Sie wandte sich um und sah, daß er sie im Spiegel beobachtet hatte. Nicht mit Lust oder auch nur Anerkennung - in seinem Gesicht war ein kalter, leerer Ausdruck.
Als sie ihn ansah, verschwand der Ausdruck wie eine Spielkarte bei einem Taschenspielertrick.
Er hatte überhaupt nicht hingesehen. Hesseltine war ein Kavalier. Dies war eine peinliche, aber notwendige Situation, in der sie sich beide wie erwachsene Menschen zu benehmen hatten. Irgendwie gelang es Hesseltine, ihr dies alles deutlich zu machen, während er sich bückte und die Schuhbänder schnürte.
Draußen wartete ein Seemann auf sie, ein drahtiger kleiner Veteran mit grauem Schnurrbart und abwesendem Blick. Er führte sie nach achtern, wo der Rumpf ein gerundetes, abfallendes Dach bildete. Der Raum hatte ungefähr die Größe eines Schuppens für Gartenwerkzeug. Vier leichenblasse Matrosen mit offenen Kragen und aufgekrempelten Hemdsärmeln saßen an einem winzigen Kaffeetisch und spielten Dame.
Der französisch sprechende Offizier war auch da. »Setzen Sie sich«, sagte er auf englisch. Laura setzte sich auf eine schmale Wandbank, so nahe neben einen der vier Seeleute, daß sie sein Blumendeodorant riechen konnte.
Gegenüber waren idealisierte Porträts von Männern in Uniform an die zur Decke gekrümmte Wand geheftet. Sie warf einen schnellen Blick auf zwei der Namen: DE GAULLE, JARUZELSKI. Sie sagten ihr nichts.
»Meine Name ist Baptiste«, sagte der Offizier. »Ich bin politischer Offizier an Bord dieses Bootes. Wir müssen miteinander reden.« Eine Pause von zwei Herzschlägen Dauer. »Möchten Sie etwas Tee?«
Laura bejahte. Unter der fein zerstäubenden Dusche hatte sie nicht genug in den Mund bekommen, um den Durst zu löschen. Ihre Kehle fühlte sich vom geschluckten Seewasser und den durchgestandenen Schrecken lederig an. Plötzlich durchlief sie ein unbeherrschbares Zittern.
Sie bildete sich nicht ein, daß sie mit der Situation fertigwerden würde. Sie war in den Händen von kaltblütigen Mördern. Es überraschte sie, daß sie so taten, als wollten sie mit ihr über ihr Schicksal beraten.
Vielleicht wollte der Mann etwas von ihr. Hesseltines hageres, wachsames Gesicht hatte einen Ausdruck neutraler Gleichgültigkeit. Sie fragte sich, wie sehr sie am Leben hing. Was zu seiner Erhaltung zu tun sie bereit war.
Plötzlich lachte Hesseltine. »Machen Sie nicht so ein Gesicht… ah… Laura. Sorgen Sie sich nicht. Sie sind jetzt sicher.« Baptiste warf ihm unter den schweren Augenlidern einen zynischen Blick zu. Aus der Wand drang eine jähe, scharfe Kaskade metallischer Druckausgleichsgeräusche. Laura schrak zusammen wie eine Antilope im Angesicht eines Löwen. Einer der vier Matrosen neben ihr verschob mit dem Zeigefinger nachlässig einen Stein auf dem Damebrett.
Sie starrte zu Hesseltine, dann nahm sie eine
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