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Inseln im Netz

Titel: Inseln im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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- bedeutete das nicht, daß jemand es irgendwo, irgendwie tun mußte? Der Wodu-Drang, sich mit Dämonen einzulassen. Der Reiz des Widernatürlichen. Tief im menschlichen Geist, die fleischfressende dunkle Seite der Wissenschaft.
    Es war eine Dynamik wie die Schwerkraft. Ein Vermächtnis der Evolution, tief in den menschlichen Nerven, unsichtbar, aber wirksam wie ein Computerprogramm.
    Sie wandte sich um. Von Shaw war nichts zu sehen, aber wenige Schritte hinter ihr hing der Unglücksrabe über der Reling und würgte und spuckte vernehmlich. Er bemerkte ihren Blick, sah auf und wischte sich den Mund am Ärmel.
    Laura sagte sich, daß sie an seiner Stelle hätte sein können. Sie zwang sich zu einem Lächeln.
    Er schenkte ihr einen Blick kläglicher Dankbarkeit und kam zu ihr. Sofort wollte sie die Flucht ergreifen, aber er hob die Hand. »Es ist schon gut«, sagte er. »Ich weiß, daß ich eine Dosis abbekommen habe. Es kommt in Wellen. Im Moment geht es mir besser.«
    »Sie sind sehr tapfer«, sagte Laura. »Ich bedaure Sie, Sir.«
    Er starrte sie an. »Das ist nett. Sie sind freundlich. Sie behandeln mich nicht wie einen Aussätzigen.« Er hielt inne, seine heißen kleinen Augen musterten sie. »Sie sind nicht eine von uns, nicht war? Sie sind nicht von der Bank.«
    »Was bringt sie darauf?«
    »Sie sind jemandes Freundin, nicht?« Er grinste in der gequälten Parodie eines Flirts. »Viele Chefs an Bord dieses Schiffes. Die Spitzenleute stehen auf diese heißen eurasischen Mädchen.«
    »Ja, wir werden heiraten«, sagte Laura, »also können Sie in der Hinsicht alles vergessen.«
    Er grub in seinem Jackett. »Möchten Sie eine Zigarette?«
    »Vielleicht sollten Sie sie lieber sparen«, sagte Laura, nahm aber eine.
    »Nein, nein. Kein Problem. Ich kann alles besorgen! Zigaretten, Blutkomponenten, Megavitamine, Embryonen… Mein Name ist Desmond, Miss. Desmond Yaobang.«
    »Hallo«, sagte Laura. Sie ließ sich Feuer geben. Sofort füllte sich ihr Mund mit erstickendem giftigem Ruß. Sie konnte nicht verstehen, warum sie das tat.
    Vielleicht, weil es besser war als nichts zu tun. Vielleicht, weil sie ihn bemitleidete, und vielleicht, weil Desmond Yaobangs Nähe alle anderen auf Distanz hielt.
    »Was, meinen Sie, wird man in Abadan mit uns machen?« Yaobangs Kopf reichte ihr gerade über die Schulter. Es war nichts offensichtlich Abstoßendes an ihm, aber die chemisch erzeugte Furcht hatte sich dem Ausdruck seiner Augen und seines Gesichts mitgeteilt, hatte ihn mit einem unheimlichen Fluidum durchtränkt. Sie verspürte einen starken, unvernünftigen Drang, ihn zu treten. Wie eine Krähe, die einen verletzten Artgenossen zu Tode pickt.
    »Ich weiß nicht«, sagte Laura. Sie starrte auf ihre Sandalen und mied seinen Blick. »Vielleicht gibt man mir ein Paar anständige Schuhe… Für mich wird alles in Ordnung kommen, wenn ich nur ein paar Anrufe machen kann.«
    »Anrufe«, sagte Yaobang nervös. »Großartige Idee. Ja, geben Sie Desmond ein Telefon, und er kann Ihnen alles besorgen. Schuhe. Bestimmt. Möchten Sie es versuchen?«
    »Mmm, noch nicht. Zuviel Gedränge.«
    »Dann heute abend. Gut, Miss. Wunderbar. Ich werde sowieso nicht schlafen.«
    Sie wandte sich von ihm ab und lehnte sich gegen die Reling. Die Sonne ging zwischen zwei der wirbelnden Windsäulen unter. Ungeheure, von unten beleuchtete Wolkenbänke aus weichem Renaissancegold. Yaobang wandte sich gleichfalls um und schaute in den Sonnenuntergang, biß sich auf die Lippe und blieb glücklicherweise still. Zusammen mit dem ungesunden, aber angenehmen Rauschgefühl der Zigarette verschaffte es Laura ein überschwengliches Empfinden von Erhabenheit. Es war schön, würde aber nicht lange währen - in den Tropen sank die Sonne schnell.
    Yaobang richtete sich auf, streckte die Hand aus. »Was ist das?«
    Laura spähte. Seine von Paranoia geschärften Sinne hatten etwas ausgemacht - ein fernes Glänzen in der Luft.
    Yaobang kniff die Augen zusammen. »Vielleicht ein kleiner Hubschrauber?«
    »Es ist zu klein!« sagte Laura. »Es muß eine Drohne sein!« Das Licht hatte nur kurz von den Rotorblättern geblinkt, und nun hatte sie das Objekt vor dem dunkelgrauen Hintergrund der Wolken wieder aus den Augen verloren.
    »Eine Drohne?« sagte er, alarmiert von ihrem Tonfall. »Ist es Wodu? Kann es uns schaden?«
    Laura stieß sich von der Reling ab. »Ich werde zum Ausguck hinaufsteigen - ich möchte besser sehen.« Mit klatschenden Sandalen eilte sie übers Deck. Der

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