Inseln im Netz
mit hellem Ticken. Das Feuer wanderte weiter, Kugeln rissen den hölzernen Boden des Lastwagens auf, und Holzsplitter spritzten wie tödliches Konfetti. Und wieder kam das Feuer zurück, um ganz sicher zu sein, daß niemand überlebte, und fingerdicke Löcher erschienen in der Wand unter der Plane und fetzten Zentimeter über Lauras Gesicht in die Bänke.
Stille.
Dann weitere Schüsse, vereinzelt und nahe. Gnadenschüsse.
Eine dunkle Hand mit einer Pistole kam über die Heckklappe, gefolgt von einer Gestalt in staubbedeckter Schutzbrille, das Gesicht in dunkelblauen Stoff gehüllt. Die Erscheinung musterte Laura und Katje und murmelte etwas Unverständliches. Eine Männerstimme. Dann schwang sich der verschleierte Mann über die Heckklappe des Lastwagens, landete in kauernder Haltung am Boden und zielte mit der Waffe auf Laura. Laura lag erstarrt, fühlte sich unsichtbar, gasförmig bis auf das Weiße in ihren angstvoll verdrehten Augen.
Der verschleierte Mann rief etwas und winkte mit einem Arm hinaus. Er trug einen blauen Umhang und ein weites, blaues Gewand, und seine Brust war von geschwärzten Lederriemen gekreuzt, an denen Munitionstaschen und Lederbeutel hingen. Außerdem hatte er einen Patronengurt umgehängt und einen Krummdolch, dessen Größe beinahe einer Machete gleichkam, und dicke, schmutzige Sandalen an bloßen, hornigen Füßen. Er stank wie ein wildes Tier nach Schweiß und wochenlangem Überleben in der Wüste.
Augenblicke vergingen. Katje machte ein röchelndes Geräusch. Ihre Beine zuckten, die Lider schlossen sich, zeigten weiße Schlitze. Schock.
Ein zweiter verschleierter Mann erschien am Heck des Lastwagens. Seine Augen waren hinter einer gefärbten Schutzbrille verborgen, und er trug eine Art Panzerfaust. Er zielte damit in den Wagen. Laura starrte das Ding an, sah das Glitzern einer Linse und begriff, daß es keine Panzerfaust war, sondern eine Videokamera.
»He«, sagte sie, kroch unter der Bank hervor und zeigte der Kamera ihre gefesselten Hände.
Der erste Marodeur sah sich nach dem zweiten um und sagte etwas, eine lange Kette von scheinbar zusammenhanglosen Silben. Der zweite nickte und ließ die Kamera sinken.
»Können Sie gehen?« fragte er in akzentfreiem Englisch.
»Ja, aber meine Freundin ist verletzt.«
»Dann kommen Sie heraus.« Er hakte die Heckklappe los und zog sie herunter. Sie kreischte - die Kugeln hatten sie verformt. Laura kroch eilig ins Freie. Der Mann mit der Kamera nickte zu Katje. »Sie sieht schlecht aus. Wir werden sie zurücklassen müssen.«
»Das geht nicht. Sie ist eine Geisel. Südafrikanerin. Sie ist wichtig.«
»Dann werden die Malier sie zusammenflicken.«
»Nein, das werden sie nicht, sie werden sie umbringen! Sie können sie nicht hier sterben lassen! Sie ist eine Ärztin, sie arbeitete in den Lagern!«
Der erste Marodeur kehrte im Trab zurück. Er hatte den Gürtel des toten Fahrers bei sich, mit Reihen von Patronen in Schlaufen und einem Schlüsselring. Er untersuchte Lauras Handschellen, wählte dann auf Anhieb den richtigen Schlüssel und schloß sie auf. Er gab ihr Handschellen und Schlüssel mit einer angedeuteten Verbeugung und legte die Hand ans Herz.
Andere Wüstenmarodeure - ungefähr zwei Dutzend - plünderten die zerschossenen Lastwagen. Sie fuhren skelettartige leichte Geländewagen, die nur aus Aluminiumrohren, Speichen und Draht zu bestehen schienen. Sie rollten beweglich und geländegängig dahin, schnell und leise wie Fahrräder, mit einem drahtigen Knirschen von Rädern aus Metallgeflecht und dem leisen Quietschen von Federn. Die Fahrer waren alle in weite dunkelblaue Gewänder gehüllt und hatten verschleierte Gesichter. Sie sahen riesig, geisterhaft und wie aufgebläht aus. Sie saßen auf Fahrradsätteln, vor sich die Lenkung, hinter und unter sich Ballen und Kisten mit Ladung, unter Segeltuchplanen festgeschnallt.
»Wir haben keine Zeit.« Der englischsprechende Strolch mit der Kamera winkte den anderen zu und rief etwas in ihrer Sprache. Sie riefen zurück, und die Männer begannen die zusammengetragene Beute zu verstauen: Munition, Handfeuerwaffen, Kanister.
»Ich will, daß sie lebt!« rief Laura.
Der große Kerl in seiner Schutzbrille, dem verhüllten Gesicht mit Turban, behangen mit Gürteln und Waffen, starrte auf sie herab. Laura begegnete dem Blick seiner unsichtbaren Augen ohne Wimperzucken.
»Also gut«, sagte er. »Es ist Ihre Entscheidung.«
Sie fühlte das Gewicht seiner Worte. Er sagte ihr, daß
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