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Inseln im Netz

Titel: Inseln im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Ärmeln um die Stirn band.
    Mit viel Gefummel und vergeblichen Versuchen gelang es ihr, Katje von den Handschellen zu befreien. Dann warf sie die Handschellen über Bord, die Schlüssel hinterher. Teufelszeug. Metallene Parasiten.
    Sie kroch auf die Ladung hinter den Fahrer. Er gab ihr seine Schutzbrille. »Versuchen Sie die.« Er hatte blaue Augen.
    Sie setzte die Brille auf. Ihre Gummiränder legten sich an die Haut, feucht von seinem Schweiß. Die quälende grelle Helligkeit wurde sofort erträglich. Sie war dankbar. »Nach Ihrer Aussprache sind Sie Amerikaner, nicht?«
    »Kalifornier.« Er zog den Stoff vom Gesicht und zeigte ihr seine Züge. Es war ein Gesichtsschleier, wie die Tuareg ihn trugen und mit dem Gesicht und Kopf umwunden wurden, bis ein hoher, kammartiger Turban entstand. Die Enden hingen ihm auf die Schultern. Der in Indigo getauchte Stoff hatte auf seine Haut abgefärbt und verfremdete sein gefurchtes Europäergesicht mit streifigem Graublau.
    Er hatte ungefähr zwei Wochen alte rötliche Bartstoppeln, mit Grau durchsetzt. Er lächelte kurz und zeigte weiße Zähne.
    Er glich einem Fernsehjournalisten, der endgültig auf Abwege geraten war. Sie vermutete sofort, daß er ein Söldner war, eine Art Militärberater. »Was für Leute sind Sie?«
    »Wir sind die Inadin Kulturrevolution. Sie?«
    »Rizome Industries. Laura Webster.«
    »Ja? Sie müssen eine Geschichte zu erzählen haben, Laura Webster.« Er betrachtete sie mit plötzlich erwachtem Interesse, wie eine schläfrige Katze, die unerwartet Beute sieht.
    Eine ungebetene Erinnerung stellte sich ein. Sie mußte daran denken, wie sie als Kind mit ihrer Großmutter in einem Safaripark gewesen war. Unterwegs hatten sie haltgemacht, um einen mächtigen Löwen zu beobachten, der am Straßenrand an einem Kadaver nagte.
    Das Bild war ihr im Gedächtnis geblieben: diese furchterregenden weißen Zähne, das gelbbraune Fell mit der dichten Mähne, das mit Blut bis zu den Augen beschmierte Maul… Der Löwe hatte ruhig aufgeblickt, mit einem Ausdruck genau wie dem, der jetzt im Blick des Fremden war.
    »Was sind Inadin?« fragte Laura.
    »Kennen Sie die Tuareg? Die berühmten, geheimnisvollen Bewohner der Sahara?« Er zog den Turban tiefer und beschattete seine ungeschützten Augen. »Nun, macht nichts. Sie nennen sich selbst die ›Kel Tamashek‹. ›Tuareg‹ werden sie von den Arabern genannt - es bedeutet ›die Elenden‹.« Er beschleunigte wieder die Geschwindigkeit und wich geschickt den größeren Blöcken aus. Federung und Radaufhängung fingen die groben Stöße erstaunlich gut ab, die breiten Reifen aus Drahtgeflecht hinterließen kaum eine Spur.
    »Ich bin Journalist«, sagte er. »Freiberuflich. Ich berichte über ihre kriegerischen Aktivitäten.«
    »Wie heißen Sie?«
    »Gresham.«
    »Jonathan Gresham?«
    Gresham sah sie von der Seite an. Überrascht, nachdenklich. Er schien sein Urteil über sie zu revidieren. »Soviel für Tarnung«, sagte er schließlich. »Was ist? Bin ich jetzt berühmt?«
    »Sie sind Oberst Jonathan Gresham, Autor des Buches Die Lawrence-Doktrin und postindustrieller Aufstand?«
    Gresham sah verlegen aus. »Sehen Sie, in diesem Buch gibt es eine Menge Irrtümer. Damals wußte ich nicht genug, die Hälfte ist Theorie, unausgegorenes Zeug. Sie haben es doch nicht gelesen, oder?«
    »Nein, aber ich kenne Leute, die wirklich viel von diesem Buch hielten.«
    »Amateure.«
    Sie sah Gresham an. Er sah aus, als wäre er im Fegefeuer geboren und in der Hölle aufgewachsen. »Das glaube ich kaum.«
    Gresham dachte darüber nach. »Die Gefängniswärter haben Ihnen von mir erzählt, wie? Ich weiß, daß es bei der FAKT Leute gibt, die mein Zeug gelesen haben. Auch Wien hat es gelesen, darum bin ich dort in Verschiß. Scheint ihnen aber nicht viel genützt zu haben.«
    »Es muß was dahinter stecken! Gerade haben Sie einen ganzen Militärkonvoi ausgelöscht!«
    Gresham verzog ein wenig das Gesicht, wie ein Avantgarde-Künstler, der von einem Spießer gelobt wird. »Wenn es um meine Aufklärung besser bestellt gewesen wäre… Tut mir leid, daß Ihre Freundin getroffen wurde. Das sind die Wechselfälle des Krieges.«
    »Genauso leicht hätte es mich erwischen können.«
    »Ja, das lernt man nach einer Weile.«
    »Glauben Sie, daß sie durchkommen wird?«
    »Nein, das glaube ich nicht. Wenn einer von uns einen Bauchschuß bekommen hätte, würden wir ihm einfach eine Kugel gegeben haben.« Er blickte über die Schulter zu Laura.

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