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Inseln im Netz

Titel: Inseln im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Zeit, darüber nachzudenken. Und ich denke heute noch, daß ich recht hatte, selbst wenn es mich alles kostete.«
    Selous lächelte.
    Sie wurden in einen Konvoi eingegliedert. Zwei gepanzerte Halbkettenfahrzeuge scherten hinter ihnen ein und glitten wie Schiffe über die ausgefahrene Piste. Die langen Maschinengewehrläufe schwankten in den Schutzschilden.
    »Sie glauben eine Antwort zu haben«, sagte Selous. »Bevor sie kamen, sah es in Mali schlimmer aus.«
    »Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen.«
    »Das ist nicht etwas, das Sie sich vorstellen könnten - Sie müssen es sehen.«
    »Haben Sie eine Antwort?«
    »Wir halten durch und warten auf ein Wunder, retten, wen wir retten können… Wir leisteten gute Arbeit in dem Lager, glaube ich, bevor die FAKT es übernahm. Sie fingen mich, aber der Rest unserer Leute entkam im letzten Augenblick. Wir sind Überfälle gewohnt - die Wüste ist voll von Skorpionen.«
    »Waren Sie in Mali stationiert?«
    »Eigentlich in Niger, aber das ist nur eine Formalität. Keine zentrale Regierungsgewalt. Draußen im Land herrschen meistens die lokalen Warlords, Stammeskriegsherren. Die Fulani-Stammesfront, die Streitkräfte der Sonrai, alle Arten von Banditenarmeen, Dieben, Milizen. Die Wüste wimmelt von ihnen. Und die Maschinen der FAKT.«
    »Was verstehen Sie darunter?«
    »Sie ziehen es vor, mit ferngesteuerten Geräten zu arbeiten.
    Wenn sie die Banditen ausmachen, greifen sie sie mit ferngelenkten Flugzeugen an. Wie stählerne Bussarde, die in der Wüste auf Ratten herabstoßen. Sie verfügen über Spezialisten und Techniker. Sie haben vieles gelernt, im Libanon, in Afghanistan, Namibia. Wie man Gegner bekämpft, ohne daß sie einem etwas anhaben können. Sie brauchen ihre Gegner nicht einmal direkt ins Visier zu bekommen, der Computerschirm genügt.«
    Laura nickte eifrig. »Ja, das sind sie… In Grenada sah ich selbst, wie es gemacht wurde.«
    Selous nickte. »Der Präsident von Mali war von ihrer Disziplin und Tüchtigkeit angetan. Er beauftragte sie mit der Reorganisation und Modernisierung der Streitkräfte. Heute ist er ihre Marionette.«
    »Ich habe den Premierminister von Grenada gesehen. Es sollte mich nicht wundern, wenn sich herausstellte, daß dieser Präsident von Mali überhaupt nicht existiert, es sei denn, als eine Darstellung auf einem Bildschirm und ein paar aufgezeichnete Ansprachen.«
    »Können sie das tun?«
    »Grenada kann es - ich sah, wie der Premierminister vor meinen Augen verschwand, als hätte er sich in Luft aufgelöst.«
    Selous dachte darüber nach. Laura merkte, wie es in ihrem Gesicht arbeitete; wahrscheinlich fragte sie sich, ob Laura verrückt sei, oder ob sie selbst verrückt sei, oder ob die helle Fernsehwelt in ihren finsteren Wodu-Winkeln üble Abscheulichkeiten ausbrüte. »Es ist, als ob sie Zauberer wären«, meinte sie schließlich. »Und wir bloß gewöhnliche Sterbliche.«
    »Ja«, sagte Laura und hob die Hände, um zwei Finger in die Höhe zu halten. »Aber wir haben Solidarität, und sie sind damit beschäftigt, einander umzubringen.«
    Selous lachte.
    »Und wir werden gewinnen.«
    Ihr Gespräch wandte sich den anderen zu. Laura hatte sich die Liste eingeprägt. Marianne Meredith, die Fernsehkorrespondentin, war die Rädelsführerin gewesen. Sie hatte die besten Methoden zum Hinausschmuggeln von Nachrichten erfunden - oder bereits gewußt. Lacoste, der französische Diplomat, war ihr Dolmetscher - seine Eltern hatten schon in Afrika gelebt, und er beherrschte zwei der Stammessprachen von Mali.
    Sie hatten die drei Agenten aus Wien gefoltert. Einen von ihnen hatten sie umgedreht, die beiden anderen freigelassen oder, was Selous wahrscheinlicher erschien, hingerichtet.
    Steven Lawrence war bei einer Razzia in einem Versorgungslager der Oxfam festgenommen worden. Die Lager wurden häufig durchsucht - sie waren Sammelstellen für Scop, das Grundnahrungsmittel von Millionen Einwohnern der Sahelzone. Trotz solcher Bemühungen der Regierung, die Kontrolle über die Verteilung zu behalten, war der Schwarze Markt für Einzellerprotein der wichtigste Wirtschaftszweig der Regierung. So war die ›Regierung‹ von Mauretanien zum Beispiel wenig mehr als ein Scopkartell. Ausländische Nahrungsmittelhilfe, ein paar Pottaschevorkommen und eine Armee - das war Mauretanien.
    Der Tschad war eine terroristische Despotie, eine winzige Oberschicht einheimischer Aristokraten, deren Militär jede Demonstration der hungernden Bevölkerung mit

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