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Inseln im Netz

Titel: Inseln im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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»Ich könnte es machen«, sagte er. Er meinte es als eine großzügige Geste, das war deutlich zu sehen.
    »Sie braucht nicht mehr Kugeln, sie braucht einen Chirurgen. Gibt es einen Arzt, den wir erreichen können?«
    Er schüttelte den Kopf. »Drei Tage von hier gibt es ein Depot für Hilfsgüter, und eine Krankenstation, betrieben von Südafrikanern. Aber wir fahren nicht dorthin. Wir müssen uns bei unserem örtlichen Versorgungsdepot umgruppieren. Wir müssen uns um unser eigenes Überleben kümmern - können keine ritterlichen Gesten machen.«
    Laura streckte den Arm aus und faßte den dicken Stoff an Greshams Schulter. »Sie ist eine sterbende Frau!«
    »Sie sind jetzt in Afrika. Sterbende Frauen sind hier keineswegs selten, Madam.«
    Laura holte tief Atem.
    So kam sie nicht weiter.
    Sie überlegte angestrengt, versuchte klar zu denken. Ihr Verstand war durch die letzten Ereignisse wie in Fetzen gerissen. Die Wüste ringsum schien sie zu verdampfen. Alle Feinheiten und Verzweigtheiten lösten sich hier in nichts auf; alles war kraß und einfach und elementar. »Ich möchte, daß Sie ihr das Leben retten, Jonathan Gresham.«
    »Es ist schlechte Taktik«, sagte Gresham. Er blickte geradeaus. »Sie wissen nicht, daß die Frau tödlich verwundet ist. Wenn sie eine wichtige Geisel ist, werden sie erwarten, daß wir zu diesem Lager fahren. Es ist das einzige, was in diesem Gebiet von den Südafrikanern betrieben wird. Und wir haben nicht bis heute überlebt, indem wir taten, was die FAKT erwartete.«
    Sie rückte von ihm ab. Versuchte einen anderen Zugang zu finden. »Wenn sie dieses Lager angreifen, wird die südafrikanische Luftwaffe zusammenschlagen, was von ihrer Hauptstadt noch übrig ist.«
    Er sah sie an, als hätte sie den Verstand verloren.
    »Es ist wahr. Vor vier Tagen griffen die Südafrikaner Bamako an. Treibstofflager, Radaranlagen, alles. Mit Maschinen von ihrem Flugzeugträger.«
    »Also, ich will verdammt sein.« Gresham grinste plötzlich, aber es war ein Raubtiergrinsen. »Erzählen Sie mir mehr, Laura Webster.«
    »Deshalb brachten sie uns zu ihrem AtombombenTestgelände. Um eine Propagandaerklärung aufzuzeichnen und die Südafrikaner abzuschrecken. Ich habe ihr Atom-U-Boot gesehen. Ich habe sogar an Bord gelebt. Wochenlang.«
    »Nicht möglich«, sagte Gresham. »Sie haben all das gesehen? Als Augenzeugin?«
    »Ja.«
    Er glaubte ihr. Sie sah, daß es ihm schwerfiel, daß es Neuigkeiten waren, die ihn zum Umdenken in grundsätzlichen Fragen seines Lebens oder wenigstens seiner Kriegführung zwangen, wenn es zwischen beiden einen Unterschied gab. Aber er erkannte, daß sie ihm die Wahrheit sagte. Es gab eine Verständigung zwischen ihnen, auf einer grundlegenden, menschlichen Ebene.
    »Wir müssen ein Interview machen«, sagte er.
    Ein Interview. Er hatte eine Videokamera, nicht wahr? Sie fühlte sich verwirrt, erleichtert, auf eine unbestimmte Art beschämt. »Retten Sie meiner Freundin das Leben.«
    »Wir können es versuchen.« Er stand auf und zog etwas aus dem Gürtel - einen weißen Fächer. Er klappte ihn auf und reckte ihn in die Höhe, winkte ihn mit scharfen Bewegungen. Jetzt erst wurde Laura bewußt, daß ein anderer Tuareg in Sicht war - ein ameisenartiges Profil, beinahe aufgelöst in der hitzeflimmernden Entfernung, vielleicht anderthalb Kilometer nördlich von ihnen. Ein weißer Punkt winkte zurück.
    Katje stöhnte und röchelte wie ein Tier. »Geben Sie ihr nicht zuviel zu trinken«, warnte Gresham. »Wischen Sie sie statt dessen ab.«
    Laura kroch nach hinten.
    Katje war wach, bei Bewußtsein: Ihre Qual war so groß und elementar, so erschreckend, daß ihr mit Reden oder Denken kaum beizukommen war - mit dem Tod war nicht zu diskutieren. Ihr Gesicht war fahl und eingefallen, und sie kämpfte einsam.
    Während die Stunden vergingen, tat Laura, was sie konnte. Ein Wort oder zwei mit Gresham, und sie fand das wenige, was er hatte, um Katje ihre Lage zu erleichtern. Polster für Kopf und Schulter, Lederbeutel mit lauwarmem Wasser, Hautfett, das nach Ziegen roch. Ein Sonnenschutz für das Gesicht.
    Die Ausschußwunde im Rücken war am schlimmsten. Sie war groß und aufgerissen, und Laura befürchtete, daß sie bald brandig werden könnte. Der Schorf brach durch die unvermeidlichen Stöße während der Fahrt zweimal auf, und es entstanden frische Blutungen.
    Einmal hielten sie an, als sie an einen Felsblock prallten und das rechte Vorderrad zu quietschen begann. Dann noch einmal, als

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